Predigt zum 11. Sonntag n. Trinitatis - 11.8.2002 Textlesung: 2. Sam. 12,1-10.13-15a Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rin- der; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, daß es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, daß du getan hast, was ihm mißfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, daß sie deine Frau sei. Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Und Nathan ging heim. Und der HERR schlug das Kind, das Urias Frau David geboren hatte, so daß es todkrank wurde. Liebe Gemeinde! Stellen Sie sich vor: Heute morgen stünde dieser Prophet, Nathan auf der Kanzel und erzählte ihnen solch eine Geschichte. Er würde sie richtig in Rage bringen. Sie bekämen eine anständige Wut auf einen, der sich ähnlich schändlich verhalten hat, wie der reiche Mann in der Geschichte. Er würde sie soweit führen, daß sie am Ende ausrufen: Der oder die muß sterben, das verdient die schlimmste Strafe! Und dann kämen diese gewaltigen Worte, dieser Satz, der sie mit seinen vier kleinen Wört- chen zerschmettert: "Du bist der Mann! Du bist die Frau!" - Wie fühlten sie sich dabei? Nehmen wir weiter an: Dieser Satz wäre wahr! Sie hätten sich wirklich das zuschulden kommen lassen, von dem der Prophet gesprochen hat. Sie hätten es, wie ja David auch, nur nicht gleich gemerkt, wovon Na- than da berichtet. "Du bist der Mann!" Jetzt allerdings würden sie begreifen. - Wie wäre ihnen zumu- te? Wenn es mir so erginge, ich würde wahrscheinlich hin und her schauen, würde denken, mein Nach- bar ist gemeint, würde mich winden und den Kopf einziehen, würde dann irgendwelche Entschuldi- gungen stammeln, fadenscheinige Gründe sagen... Ob ich meine Schuld einsehen könnte? Ob ich be- reuen würde? - Wie ginge es ihnen? Das ist eine ungeheure Geschichte! Sie nimmt den Hörer gefangen. Sie läßt ihn aufhorchen: Un- glaubliche Dinge geschehen da! Ein Reicher mit so vielen Schafen...bekommt Besuch...bringt's nicht über sich, eines davon zu schlachten...vergreift sich an dem einzigen Schaf eines armen Mannes... Ja, ist denn der zu retten! Das muß gesühnt werden! Das muß mit Blut bezahlt werden! Das schreit zum Himmel! Wie gut, daß diese Geschichte dem David galt! Wie gut, daß sie nichts mit uns zu tun hat. Wir kön- nen sie jetzt weglegen, uns anderen Themen zuwenden. Worüber könnte man denn einmal sprechen? - - - Warum ist uns diese schlimme Geschichte eigentlich als Predigttext verordnet? Es ist ja doch eher peinlich, daß ein so großer König, wie David einer war, sich derartig verfehlt hat. Na, er hat ja aber auch seine Strafe bekommen! Gott sei Dank ist er nicht ungeschoren davon gekommen! So oder ähnlich geht es uns jetzt im Kopf herum. - - - Sie werden mich jetzt vielleicht auch nicht mehr verstehen, aber ich sage es: Es ist unsere Geschich- te, deine und meine auch. "Du bist der Mann! Du bist die Frau!" Von mir und von dir wird hier ge- sprochen! Wenn wir jetzt tief durchgeatmet haben, will ich weiterreden: Diese Geschichte von David und dem Schaf des armen Mannes ist die Ur-Geschichte für das, was Menschen einander und ihrem Gott antun. Sie - wie Hunderte anderer Geschichten der Bibel - meint uns, dich und mich ganz per- sönlich. Nur wir haben sie meist anders verstanden, verstehen wollen! Wir haben hin und her ge- schaut, gedacht, da ist ja nur mein Nachbar gemeint, haben uns gewunden und den Kopf eingezogen, dann Entschuldigungen gestammelt und fadenscheinige Gründe vorgebracht... Aber eingesehen ha- ben wir nicht. Bereut schon gar nicht. - Aber es war dennoch meine und deine Geschichte, unsere Schuld, von der die Rede war! "Du bist der Mann! Du bist die Frau!" Gehen wir doch ein paar dieser Hunderte von Geschichten durch, die dieser Erzählung vom reichen Mann und dem Schaf ganz gleichgestaltet sind: Die Arbeiter im Weinberg vielleicht?: "Warum siehst du denn scheel, wenn ich so gütig bin?", so fragt der Herr des Weinbergs die neidischen Arbeiter. Sie dachten, sie würden mehr bekommen, als die, die nur eine Stunde geschafft haben. Sie bekom- men aber keinen Heller über den Tageslohn hinaus. Dieser Herr will offenbar auch die Taugenichtse beschenken! - "Wer sieht denn scheel?" - Wir sind das! Du bist der Mann! - "Ja, wo denn? Und wa- rum denn?" Jeden Tag! Wir gönnen einander nichts, schon gar nicht mehr, als wir selbst besitzen. Und darum, weil unser Herz hart ist, weil wir meinen, alles müsse verdient sein und geschenkt - gibt's nichts! Und weil wir uns ja für die Tüchtigen halten und die anderen für die Tagediebe. Nein, es paßt uns ganz und gar nicht, daß dieser seltsame "Herr", so mit uns rechtschaffenen Leuten umspringt: Daß er die vorzieht, die nur eine Stunde gearbeitet haben. Das ist ungerecht! Allerdings sehen wir scheel! So geht's ja nicht. - Du bist der Mann! Und dann: Die Sache mit dem Samariter. Der Priester geht an dem Verwundeten vorbei, dann der Levit. Na endlich kommt der Barmherzige! Endlich wird dem Geschundenen geholfen! Ist es nicht so: Immer haben wir uns doch als der Samariter gesehen, haben uns als Retter und Helfer in die Bil- der dieser Erzählung hineingemalt: Ich würde das auch so tun! Aber sieht Jesus das auch so? Müßte er dann diese Geschichte erzählen? - Müßte er nicht! Sie ist ganz anders gedacht: Sieh diesen Pries- ter, sieh diesen Levit. Sie gehen vorbei am Jammer ihres Mitmenschen. Sie kümmern sich nicht um ihn. Sie ziehen den Kopf ein', schauen hin und her, winden sich ein wenig und haben dann faden- scheinige Gründe: Ich darf mir jetzt die Hände nicht schmutzig machen mit so einem. Wo ich doch im Tempel dienen soll... "Du bist der Mann! Du bist die Frau!" , sagt Jesus! Den Samaritern braucht er nicht vom Samariter erzählen! Aber uns. Schon unsere Straße ist voll von Jammer! Viel Elend und seelische Not ist in unserem Dorf (unserer Gemeinde). Jedes Häuschen sein Kreuzchen..., sagen wir nicht so? Aber wo sind wir? Wo gehen wir vorbei? Wer bleibt stehen und hilft? Und in der Passionsgeschichte sind wir drin - und nicht nur als die Zuschauer an der Leidensstraße. Auch als Petrus - wie oft verleugnen wir unseren Herrn! Und als Judas - ist nicht viel Verrat an Christi Liebe unter den "Christen"? Und als Pilatus - an wie vieler Menschen Urteil arbeiten wir mit, an wieviel Not und Leid werden wir mitschuldig - und waschen am Ende noch unsere Hände in Un- schuld. - "Du bist der Mann! Du bist die Frau! Ich bin es, von dem man hier spricht!" Schlagen sie doch Zuhause einmal ihre Bibel auf. Lesen sie die Geschichten! Fangen sie gleich vorne an und lesen sie auch dann im Neuen Testament. Aber lesen und hören sie einmal anders, als wir es meistens tun: Wir halten uns für Abel - aber vielleicht sind wir Kain! Wir denken, wir wären die Warner beim Turmbau zu Babel - aber vielleicht bauen wir fleißig mit, höher und höher und wollen sein wie Gott! Und beim großen Abendmahl - wir meinen, wir wären die Knechte, die andere einla- den - sind wir nicht vielmehr die, die nicht kommen wollen zu Gottes Fest? Und dann eben bei den Arbeitern im Weinberg und dem Barmherzigen Samariter und schließlich hier: Immer sind wir viel- leicht die anderen, die in der Geschichte schlecht wegkommen - wie David: Du hast des Uria Weib genommen! Du hast dem Armen sein einziges Schäfchen entrissen! Du bist der Mann! Jawohl, ich glaube, so ist es meist: Die Geschichten der Heiligen Schrift sprechen den an, der Schuld auf sich geladen hat, nicht den, der in Ordnung ist mit seinen Nächsten und mit Gott. Was sollte uns die Bibel auch bestätigen? Aber dennoch - und das ist ein Lichtblick bei diesen trüben Gedanken: Die Geschichten verdammen uns nicht! Sie lassen einen Weg, und der heißt "Reue", "Besserung", "Umkehr"! Auch für David: "Da sprach David zu Nathan: "Ich habe gesündigt gegen den Herrn!" Und was jetzt kommt, ist verheißungsvoll und ist ein großes Stück Evangelium - schon im Alten Testament: "Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben." Es gibt also Vergebung - wir müssen allerdings zu uns stehen und zu unserer Sünde! Ich will jetzt allerdings auch zum Schluß der Erzählung stehen: Nathan fährt ja noch fort: "Weil du Gottes Feinde zum Lästern gebracht hast, soll der Sohn, der dir geboren wird, sterben!" Es wird al- so auch Strafe geben - das wollen und dürfen wir nicht verschweigen. Aber die Strafe bringt ja auch wieder in Ordnung, was nicht in Ordnung war. Sie hilft, daß ich meinem Gott wieder ins Angesicht sehen kann. Es mag also auch für uns Strafe geben, die unsere Schuld heimsucht. Wichtiger und entscheidender ist doch aber, daß wir lernen, unsere Schuld wahrzunehmen. Wenn wir sie leugnen, ist sie ja nicht einfach aus der Welt! Wenn wir sie anderen zuschieben, bleibt sie ja doch an unseren Händen kle- ben! - Sehen wir doch vor allem dies: Es gibt Vergebung. Es ist uns ein Neuanfang geschenkt. Lesen wir diese und die anderen Geschichten der Bibel neu. Es wird uns gut tun. Lassen wir uns überfüh- ren: "Du bist der Mann! Du bist die Frau!"