Predigt zum 6. Sonntag n. Trinitatis - 7.7.2002 Textlesung: 1. Petr. 2, 1-10 So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, da ihr ja geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist. Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.« Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind. Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25). Liebe Gemeinde! Schöne Worte, gute Worte. Nur verliert man über den vielen Gedanken und Bildern leicht aus den Augen, worum es hier im tiefsten Grund geht. Vielleicht ist ihnen noch im Ohr, was gleich einige Male angesprochen wird in diesen Versen: Wir hören von etwas Auserwähltem, Kostbaren. Vom Eckstein in einem Bau. Und davon, was denn für den Glauben der Christen die Mitte, der Kern sein könnte. - Ich möchte sie jetzt ein wenig wegführen von diesen Worten des Petrus. Vielleicht werden sie sogar denken, wir hätten die Verse ja wohl ganz verlassen. Aber wir werden später wieder zu ih- nen zurückkehren, das verspreche ich ihnen. Es gibt da ein Spiel - genau genommen eine Denkaufgabe - das wird in allen möglichen Bereichen in verschiedenen Variationen gespielt: Die Frage heißt: "Wenn Sie heute Ihr Zuhause verlassen müßten und dürften nur drei Dinge mitnehmen, welche Gegenstände würden Sie wählen?" Oder: "Sie fliegen mit einem Ballon über dem Ozean. 10 Sachen gleichen Gewichts haben Sie in der Gondel. In wel- cher Reihenfolge würden Sie die Dinge ins Meer werfen, um Höhe zu gewinnen - und zu überle- ben!?" Es gibt noch viele andere Spielarten dieser Aufgabe. Eine davon möchte ich heute mit ihnen durchdenken: "Wenn Sie den wichtigsten Gedanken der heiligen Schrift nennen sollten, den Satz, den Sie als die Mitte, als das Kostbarste, die wichtigste Wahrheit der Schrift ansehen, was würden Sie sagen?" Vielleicht denken sie: "Das ist ja wohl ein bißchen übertrieben; und was für ein Vergleich: Die Wahrheit der Bibel - eine Ballonfahrt...das Wertvollste in der Heiligen Schrift...als Überlebens- Spiel... Können wir uns das nicht vorstellen?: Einer fragt uns, du bist doch Christ, woran hältst du dich in der Bibel in besonderer Weise fest, wenn die Anfechtungen kommen, die Zweifel, die zermürbenden Fragen, worauf man sich in diesem Leben denn verlassen kann? Es muß doch etwas - ein Wort oder einen Gedanken - geben,"den du auf den über 1300 Seiten der Schrift besonders schätzt, der dir mehr als alles andere bedeutet, den du niemals - oder ganz zuletzt - aufgeben würdest, weil er für dich eben das Allerkorstbarste ist. Wir könnten uns aber auch das ausdenken: Einer behauptet, du vertrittst nicht die "Wahrheit" der Bibel, du hörst (oder predigst) nur die Hälfte der frohen Bot- schaft, du bist blind auf einem Auge, bestimmte, wichtige Begriffe und Themen der Heiligen Schrift kämen bei dir nie vor, wenigstens nicht in ausreichendem Maß... Dann bist du auch gefordert. Dann mußt du Farbe bekennen. Dann geht's darum, von den 1000 wichtigen Gedanken der Schrift den zu benennen, um den sich dein Glaube und dein Christenleben dreht, wie das Rad um seine Achse. Und das ist ja durchaus keine Frage für Pfarrer, Theologen oder Prediger allein! Jeder kann - und wird! - einmal in die Lage kommen, wo einer von ihm hören will: "Woran glaubst du in der tiefsten Tiefe deines Herzens? Was hatte in deinem Leben tragende Bedeutung? Wonach hast du es ausgerichtet?" Das mag ja nun für manche Ohren schon recht anstößig sein: Gibt es denn etwa in der Bibel eine "Rangfolge" der Gedanken? Lesen wir da wichtige und weniger wichtige Worte? Ist nicht jeder Buchstabe der Heiligen Schrift gleich bedeutsam, weil sie doch "Gottes Wort" ist? Jesus wird einmal gefragt: "Meister, was ist denn das höchste Gebot?" Jesus hat nicht geantwortet: "Es gibt kein höchstes Gebot", sondern er bestätigt den Frager: "Dies ist das höchste Gebot, daß du Gott lieben sollst von ganzem Herzen und ganzer Seele!" Wir dürfen also bestimmte Sätze der Bibel höher und andere niedriger achten! Wir sollen es sogar: "Prüfet alles, und das Gute behaltet", schreibt Paulas (1. Theos. 5,21). Ich kann mir keine Predigt vorstellen, die den Anspruch der "Wahrheit" verdiente, nur weil sie alle, wirklich alle Bibelstellen zu einem bestimmten Thema hinter- einander darbietet. Am Ende weiß keiner nichts! Solche "Belehrung" ist wenig hilfreich und unbarm- herzig. Wir suchen doch Orientierung, Wegweisung - gerade durch die Heilige Schrift! Und schließ- lich - um die Verse, die uns heute zu bedenken verordnet sind, zu ihrem Recht kommen zu lassen, es heißt auch hier: Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden. Es gibt also einen Kern der Heiligen Schrift, das "Kost- barste" unseres Glaubens, etwas überaus Wertvolles, das wir um keinen Preis aufgeben dürfen. Ich will jetzt - für mich persönlich - die Frage beantworten, was denn die Mitte der Bibel, was mir das Kostbarste an ihr ist, der wichtigste von all den guten Gedanken, was die "Wahrheit", die ganze Wahrheit ist, von der ich als Christ lebe. Und ich darf mich dabei auf einen großen Theologen und Christen beziehen: Martin Luther. Und ich darf vielleicht noch dies vorausschicken: Um die Mitte der Schrift, die er genannt hat und die auch die meine ist, hat sich vor 500 Jahren die Glaubensbe- wegung formiert, die wir mit "Reformation" und später mit der "Evangelischen Konfession" be- zeichnen. Darum tun wir sicher gut daran, uns zu erinnern, was die Durchsetzung dieser Wahrheit einmal gekostet hat, wie sie erkämpft, erlitten und erbetet worden ist. Wenn wir hinter sie zurückfal- len, geben wir es auf "evangelisch" zu sein, weil wir es aufgeben, die "frohe Botschaft" zu verkündi- gen. Im Wochenspruch für heute ist diese Wahrheit wunderbar zusammengefaßt: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! So heißt also die ganze frohe Botschaft: "Ich habe dich erlöst!" Und so heißt sie auch: "Ich habe dich erlöst!" In die- sen vier Wörtchen liegt alles drin, was Luther auf vielen 1000 Seiten immer wieder anders ausge- drückt und beschrieben hat. Mit diesen vier Wörtern ist auch alles gesagt, was mir - als evangeli- schem Christen - die "ganze Wahrheit" bedeutet, wo mein Herz schlägt, worauf ich mich verlasse im Leben und im Sterben: "Ich habe dich erlöst!" Die Theologen und viele, die sich dafür halten, werfen sich über diesen vier Wörtchen gern biblische, theologische Begriffe an den Kopf wie: "Gnade", "Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben", "Opfer", "Genugtuung", "Heil in Christus" usw. Aber wer versteht das denn? Und vor allem: Wem geht denn das zu Herzen? Ich will das heute an- ders sagen, so daß es jeder begreift und in seine Seele aufnehmen kann, denn daß man es einmal be- greift und aufnimmt, davon hängt zu viel ab! Gott spricht zu uns: "Ich habe dich erlöst!" Du kannst es also aufgeben, dich selbst erlösen zu wollen. Einer ist für dich ans Kreuz gegangen, hat für dich gelitten und alles weggetragen, was zwischen uns stand. Du bist mir lieb. Ich sage ja zu dir. Ich will dich bei mir haben in diesem Leben und ewig. Ich habe dich erlöst! Du bist frei. Du kannst aufrecht gehen - um Christi willen. Das ist das Evangelium. So heißt die ganze Wahrheit. Das ist die frohe Botschaft. Damit kann man leben und sterben. Damit gewinnt man die Menschen. Darüber können sich Christen freuen. Ich habe dich erlöst! Und auch das muß man betonen: Ich habe dich erlöst! Das muß ich mir nie und nimmer verdienen. Das kann mir keine religiöse Übung erwerben. Davon darf ich immer schon herkommen und ausgehen: Ich bin schon erlöst. Was haben manche Menschen daraus gemacht: "Du mußt dich bekehren! Du mußt wiedergeboren werden. Du mußt dies und jenes tun. Du mußt dies und das lassen. Deine Taufe - als Kind empfan- gen - ist nichts wert. Du mußt dich selbst entscheiden. Du mußt erst den Glauben haben. Du mußt..." Welch eine andere Botschaft ist das doch, welch eine Freude: Ich habe dich erlöst! Hier breitet sich die herrliche Freiheit der Kinder Gottes aus. Hier kann ich den Beginn des Himmelrei- ches atmen. Hier erfüllt mich Dank. Ich kann ihn geradezu hören, den Vorwurf: Aber das ist doch billige Gnade! Ich muß doch erst mei- ne ganze Schuld unter das Kreuz Jesu bringen, ihm meine Sünde bekennen und meine Knie vor ihm beugen... Ich höre die ganze Litanei der Vorwürfe, wir würden ja das Heil an Unwürdige verschleu- dern, die Perlen den Säuen hinwerfen, das Evangelium herabziehen in den Dreck... Wir wollen uns dennoch daran festhalten: Ich habe dich erlöst! Der Herr Jesus hat sich selbst für solche Nichtsnutze wie dich und mich vergeudet. Er hat sich dem Pöbel dahingegeben. Für uns Unwürdige ist er gestor- ben. Darum - und darum allein - ist dieses Evangelium nicht billig, sondern teuer und unendlich kostbar. Darum ist mir diese frohe Botschaft heilig und die Mitte meines Lebens. Darum wollen wir diese ganze Wahrheit, den Mittelpunkt der Heiligen Schrift, nicht aufgeben, solange wir atmen: Ich habe dich erlöst! Mein Herr hat in seinem Erdenleben seine frohe, befreiende Botschaft von der Lie- be Gottes ausgestrahlt und verbreitet. Wie es "erlösten Menschen" ansteht hat er gefeiert, auf Hoch- zeiten getanzt, Wein getrunken und mit Zöllnern und Sündern, Ehebrecherinnen und Dirnen zu tun gehabt. Die Pharisäer haben schon damals mit Fingern auf ihn gezeigt und ihn belehren wollen, was Gott eigentlich gefällt. "Seht den Fresser und Weinsäufer", haben sie von ihm gesagt. Und schließ- lich, als ihnen seine Freiheit, sein Leben auf Gottes Kosten zu bunt wurde, haben sie ihn ans Kreuz gebracht, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die sich so gut in Gottes Gesetz auskannten, die von der Wahrheit Gottes soviel verstanden... Ich habe dich erlöst, so läßt uns Gott ausrichten. Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zu- schanden werden! Ihr seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25). Mit Gnade um Christi willen kommt dir und mir der große Gott entgegen. Ich kann nur staunen, mich daran festhalten - und mit meinem Leben dafür danken! Was kann uns jetzt noch hindern, das zu beherzigen?: So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, da ihr ja geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist. Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.