Predigt am Sonntag "Quasimodogeniti" - 7.4.2002 Liebe Gemeinde! Wie dieser Sonntag heißt, habe ich ja schon gesagt. "Quasimodogeniti...", "wie die Neugeborenen." Dieser Name und der Predigttext, der uns für heute verordnet ist, hat bei mir Gedanken angestoßen, die für die Verkündigung recht ungewöhnlich sind. Aber hören wir noch auf die Worte des Predigt- textes. Ich lese aus... Textlesung: Jes. 40, 26 - 31 Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig her- aus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, daß nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verbor- gen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden. Was sind nun die "ungewöhnlichen" Gedanken, die das bei mir auslöst? Nun, wir gehen doch wohl davon aus, daß in der Predigt hier im Gottesdienst Menschen angespro- chen werden, die vom Glauben an Gott bestimmt sind. Mir sind heute - über dem Sonntagsnamen und diesen Versen - aber gleich einige Dinge eingefallen, die wir mit Gott erleben können, ganz gleich ob wir an ihn glauben oder nicht. Anders gesagt: Die Worte des Jesaja und der Name "Qua- simodogeniti" könnten uns helfen, Vertrauen in Gott zu fassen oder - wo wir es schon haben - zu vertiefen. Aber jetzt ganz praktisch: Quasimodogeniti - wie die Neugeborenen... Mir ging dabei durch den Sinn, wie oft ich mich an ei- nem Tag voller Kummer und Sorgen schon abends ins Bett gelegt habe mit großen Ängsten vor dem nächsten Morgen. Dann würde nach dem Erwachen alles wieder da sein, alles wieder auf mich fal- len, alles bedrücken und beschweren und zu Boden ziehen wie am Tag zuvor... Aber es war dann ganz anders. Die Sorgen waren - ja, nicht verschwunden und aufgelöst - aber sie konnten nicht mehr so schrecken. - Haben sie das nicht auch schon erlebt? Und ist das nicht wirklich immer wieder wie ein Wunder? Wie kommt das? Und woher? War es vielleicht das Licht der Sonne, das auch das Dunkel in unserem Herzen ein wenig heller machte? War es vielleicht die innere Kraft, die in der Nacht neu geworden ist oder der Lebensmut, den uns einer wieder aufgefrischt hat, während wir schliefen? - Nun, was auch immer es ist, was auch immer da geschieht, es könnte uns ein Hinweis auf Gott sein, der in und an uns wirkt - auch wenn wir ihn bis heute darin nicht am Werk gesehen und bisher so noch nicht gedacht haben. Das andere ist in diesem Text: Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Ich sehe dabei das vor Augen, was wir gerade draußen in der wiedererwachenden Natur erleben. Wie es über Nacht richtig grün geworden ist auf den Wiesen und in den Wäldern. Wie die Knospen prall werden und dann aufplatzen. Wie hinter der schrundigen, grauen Rinde uralter Bäume doch wieder der Saft steigt und oben die feinsten Blättchen hervorbringt. Und auch zu hören gibt es ja so viel! Der Gesang der Vögel auf einmal. Die Stimmen der liebeskranken Katzen. All die anderen Geräu- sche draußen, die uns anzeigen, daß der Frühling doch endlich da ist. Dachten wir nicht noch vor Wochen, dieser Winter würde wohl nie enden? Ist das nicht auch ein Wunder, ja, eine Fülle vieler Wunder! Nun weiß ich wohl, daß uns Erwachsenen - namentlich in dieser Zeit täglicher Reizüberflu- tung durch das Fernsehen - der Blick getrübt ist für diese kleinen Dinge. Aber vielleicht haben wir ja Kinder oder Enkelkinder in der Nähe, die uns neu aufmerksam machen auf die Form einer Blüte, die unglaubliche Feinheit eines Blattes oder die Schönheit, Anmut und Freude, die in der Bewegung ei- nes Fohlens oder dem Spiel eines jungen Kätzchens liegt. Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Wenn wir nur richtig hinsehen, wird es uns schwerfallen, noch von blindem Geschick zu reden, aus dem das alles entstanden sein soll oder nur "die Natur" als Ursprung dieser ganzen wunderbaren Schöpfung anzugeben. Und wer kann denn wirklich an diese überwältigende Vielfalt und Schönheit herangehen, indem er nur wis- senschaftlich schaut und zählt und mißt und wiegt und dann beim lateinischen Namen nennt? Kann es denn etwas anderes geben vor dieser Herrlichkeit und Pracht, als zu staunen - wie es eben die Kinder noch können und wie wir es vielleicht von ihnen wieder lernen sollten? Und das ist es, was den dritten, vielleicht ungewöhnlichen Gedanken, bei mir weckt: Warum sprichst du denn und sagst: "Mein Weg ist dem HERRN verborgen"? Denken und reden wir nicht auch oft so? Wir kleiden das dann in solche Worte: "Gott, wenn es ihn überhaupt gibt, achtet doch nicht auf mein kleines Leben!" - "Ob es mir gut oder schlecht geht, interessiert doch keinen Menschen - und Gott schon gar nicht." - "Jeder ist seines Glückes Schmied - du kannst von niemand erwarten, daß er in dein Leben eingreift oder es gar fördert, bewahrt oder rettet." Jesaja gibt uns zu diesem Denken einen Hinweis in ganz anderer Richtung: Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Un- vermögenden. Und ich will jetzt mit diesen Worten ein wenig weiterfragen: Haben sie das nicht auch schon gespürt, daß es so ist: Wir kriegen Kraft und Stärke, wo wir selbst am Ende waren und nicht mehr weiter wußten. Ja, nicht nur am Morgen nach einem schweren, sorgenvollen Tag ist das so. Auch nach langer Krankheit kehren auf einmal Frische und Lebensfreude zurück. Und doch nicht aus uns selbst! Nein, von außen...von oben... Oder wenn wir Trauer hatten, ein lieber Mensch uns verlassen hat und wir doch geglaubt haben, nie mehr lachen zu können. Irgendwann siegt das Leben. Einmal ist da doch wieder ein Lächeln auf unserem Gesicht, ein Gefühl von Hoffnung keimt in uns auf, ein Wissen, daß unser Leben doch noch Ziele hat und Aufgaben...und irgendwann können wir sie dann anpacken und ein neuer Sinn kommt in unsere Tage und ein großer Frieden in unsere Seele. Und schließlich wenn sich unsere Pläne zerschlagen haben, wenn wir erkennen müssen, daß etwas in der Zeit, die uns noch bleibt, nicht mehr zu erreichen sein wird. Wenn wir dann eben doch ja sagen können dazu. Wenn es nicht nur ein Sich-Abfinden ist, sondern ein Annehmen - dann kommt das aus dem Wissen oder wenigstens der Ahnung, daß wir nicht allein sind in dieser Welt, sondern in der gu- ten Hand Gottes. Daß wir geborgen sind in einem höheren Plan, bewahrt durch einen größeren Wil- len und geführt durch Hände und ein Herz, die es gut mit uns meinen. Das gibt es. Viele von uns haben es erfahren. Und daß es das gibt, kann uns wohl auch auf die Spur Gottes bringen, wie schon die Wunder des Lebens draußen in der Natur und wie schon die neue Kraft, die wir an manchem Morgen nach einem schweren Tag in uns gefühlt haben. Alles das wird gewiß weniger aus einem Nachdenken in uns entstehen oder daß wir etwas wollen und uns mühen, als vielmehr durch einige Aufmerksamkeit auf die Dinge in uns, das Geschehen um uns und all die großen und kleinen Wunder um uns herum. Ich wünsche uns allen heute dieses aufmerksame Wahrnehmen. Es wird uns auf dem Weg zum Glauben helfen oder unseren Schritt auf diesem Weg noch sicherer machen. So mag es bei uns ge- schehen, was der Name dieses Sonntags verheißt: "Quasimodogeniti - wie die Neugeborenen"! Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.