Predigt am Sonntag „Misericordias Domini“ - 5.5.2019 Textlesung: Jh. 21, 15 - 19 Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! Liebe Gemeinde! So etwas habe ich noch nie erlebt: Bei der Vorbereitung für diese Predigt haben sich auf einmal zwei Gedankenkreise berührt. Ich hatte gar nicht daran gedacht, dass diese zwei Gedanken, die mich in den letzten Tagen beschäftigt haben, irgendwie zusammenpassen. Aber jetzt haben sie sich zusammengefunden wie Form und Inhalt und sie gehören wohl auch zusammen, wie Kern und Schale einer Frucht. Aber ich will nicht in Rätseln sprechen. Ich stelle mir immer wieder die Frage: Was macht eigentlich den Christen aus? Und ich werde auch immer durch meine Mitmenschen überhaupt und die Gemeindeglieder insbesondere mit dieser Frage konfrontiert. Da fragt vielleicht ein Mann beim Geburtstagskaffee: „Herr Pfarrer, ich gehe zwar nicht in die Kirche, aber bin ich darum ein schlechterer Christ?“ Oder ich höre beim Bunten Abend des Gesangvereins: „Hier sind ja mal all die Schäfchen beisammen, die sie sonst nie sehen!“ Oder: Am Telefon werde ich so angesprochen: „Sie wissen doch gar nicht, was Leute, die sie aus der Kirche kennen, in ihrem Alltag alles treiben!“ Und schließlich gibt es da die landläufige Meinung: Den Christen macht aus, dass er sich konfirmieren lässt, zur Trauung kommt und die Kinder getauft werden und - natürlich! - dass er einmal kirchlich beerdigt wird. Wie wir dazu jetzt auch stehen und denken - es entsteht die Frage: Was ist eigentlich das Zeichen, die Sache, die Praxis, an der wir den Christen erkennen? Welche Voraussetzung muss erfüllt sein, dass wir sagen können: Der oder die ist ein Christ, eine Christin!? Und das hat ja auch eine ganz persönliche Bedeutung: Wir möchten ja nicht nur andere einordnen können, wir wollen's doch auch selbst wissen: Darf ich mich eigentlich „Christ“ nennen? Dieser erste Gedanke hat mich in den letzten Tagen bewegt, als ich in einem Buch ganz unverhofft eine Antwort gefunden habe. Da stand: „Christen sind Menschen, die sich von ihrem Herrn ansprechen lassen.“ Beim ersten Hören keine weltbewegende Erkenntnis. Aber denken wir ein bisschen weiter: In die Kirche gehen viele unterschiedliche Menschen mit ganz unterschiedlichen Beweggründen - wer aber geht wirklich hinein, um von seinem „Herrn angesprochen“ zu werden? Die Taufe geben viele als Zeichen der Christen an - wer aber nimmt das später als Erwachsener so ernst, dass er hört, was sein Herr zu ihm sagt? Oder wie halten es die Menschen damit, die nicht in die Kirche gehen - werden sie außerhalb des Gotteshauses wirklich von Jesus Christus angesprochen? In ihrem Alltag, an ihrem Sonntag? Doch: Ich finde, das ist ein treffliches Erkennungszeichen: Der Christ lässt sich von seinem Herrn ansprechen! So frage sich der Kirchgänger und der Kirchenferne, der Mann, der die Taufe und die Trauung betont und die Frau, die den Bibelkreis besucht: Lasse ich mir von diesem Herrn Jesus Christus etwas sagen, etwas, dem ich so viel Bedeutung beimesse, dass ich dafür mein Leben zu ändern bereit bin? Je nach dem, wie die Antwort ehrlicherweise ausfällt, wissen wir, ob wir mit Recht ein „Christ“, eine „Christin“ heißen! Dazu kam in der vergangenen Woche - in den Versen, die wir vorhin gehört haben - der zweite Gedankenkreis. Man wird ja nun weiterfragen: Was sagt Christus, wenn er uns anspricht? Er kann ja nun zu allen Menschen ganz unterschiedlich sprechen. Den einen tröstet sein Wort, den anderen mahnt er. Dafür ist er der Herr! Aber ich glaube, zu uns allen kommt er mit der Frage, die er damals - gleich dreimal - dem Petrus stellt: Hast du mich lieb? Ob er uns nun durch sein gutes Wort durch die Trauer begleiten will oder ob er uns in die Nachfolge ruft - immer fragt er: Hast du mich lieb? Denn wer ihn lieb hat, wird gerade seinen Trost ergreifen und wer ihn lieb hat, der lässt sich von ihm als Mitarbeiter bitten... Es ist immer diese tiefere Frage hinter allen Fragen und Worten dieses Herrn: Hast du mich lieb? So haben sich hier beide Gedanken getroffen: Christen sind Menschen, die sich von ihrem Herrn ansprechen lassen! Und das sagt und fragt er, wenn er uns anspricht: Hast du mich lieb? Das eine ist die Schale, das andere der Kern. Hier sind Form und Inhalt zusammen. So prüfe sich jeder von uns an diesen beiden Gedanken! Gebe ich dem Herrn, dessen Namen ich trage, das Recht, in mein Leben - meinen Alltag und meinen Sonntag - hineinzureden? Bitte, kommen wir da nicht zu schnell mit äußerlicher Praxis wie Kirchgang oder Bibellese! Ist Christus der „Herr“?, heißt die Frage. Regiert er in meinem Leben wie ein König sein Land? Tue ich wirklich seinen Willen? Wann war das zuletzt, dass ich eigentlich ganz anders wollte - aber dann zu mir gesprochen habe: Als Christ muss ich mich anders verhalten! Jesus würde das nicht wollen, was ich gern möchte? Und das andere, der „Kern“ der Sache: Habe ich meinen Herrn wirklich lieb? Denken wir doch nur, was wir für einen geliebten Menschen geben würden? Wie die Liebe zu unserem Mann unserer Frau uns verändert hat? Zu welchen Opfern macht uns herzliche Liebe doch bereit! - Und dann stellen wir uns die Frage: Hast du Jesus lieb? Was könntest du ihm geben und für ihn aufgeben? Wie weit lässt du ihn deine Gedanken und Taten bestimmen - um deiner Liebe willen? Was opferst du für deinen Herrn? Wann ist das zuletzt gewesen, dass du zu dir gesagt hast: Ich habe Jesus lieb, darum kann ich ihn jetzt nicht so betrüben? Ich liebe meinen Herrn, also will ich ihm folgen? Ich glaube, das sind schon wichtige Gedanken! Sehr tiefe auch und sehr ernste! Aber sie haben noch eine ganz andere Seite, eine frohe, eine, die uns froh machen kann: Es ist Petrus, den der Herr hier anspricht. Ihn fragt er dreimal, hast du mich lieb? - Warum eigentlich „dreimal“? Wir haben es nicht vergessen: Derselbe Petrus hat auch dreimal verleugnet in der Nacht, da sie seinen Herrn vor den Hohenpriester zerren: „Du gehörst doch auch zu diesem Galiläer?“ Dreimal streitet er ab, diesen Jesus überhaupt zu kennen. Dann kräht der Hahn und Petrus weint bitterlich vor Schmerz und Scham. „Hast du mich lieb“, fragt Jesus. Fängt er hier nicht neu an mit diesem Jünger? Dreimal hat er verleugnet - dreimal muss er seine Liebe beteuern. Und es tut Petrus weh, so geprüft zu werden: „Petrus wurde traurig und er sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Aber es muss wohl sein! Dreimal hat er verleugnet. Dreimal muss er's auch beteuern: Ich hab' dich lieb, Herr! - Jetzt aber kann er neu anfangen! Die Sache ist bereinigt, vergeben! „Weide meine Schafe“, sagt Jesus. Kann das nicht für uns heißen: Auch mit uns kann Jesus neu anfangen - und wenn es heute wäre! Auch uns will er wieder ansprechen und fragen: Hast du mich lieb? Da mögen wir uns auch Jahre nicht mehr darum geschert haben, wer unser Herr ist und was er von uns verlangt. Heute fragt er uns wieder: Willst du nicht mit mir neu beginnen? Da mag Schuld noch und noch zwischen uns und Jesus liegen... Heute kann alles vergeben sein und muss uns nicht mehr quälen: „Hast du mich lieb“, fragt Jesus! Und es muss wohl auch bei uns so sein, dass wir's ihm sagen: Ja, Herr, ich hab' dich lieb! Und es wird wohl auch bei uns Folgen haben müssen: Herr, ich will die Aufgabe, die du für mich hast, annehmen, Ich will deinen Willen - so gut ich kann - erfüllen! - Welch eine wunderbare Sache, dass Jesus uns anspricht! Welch ein Geschenk, dass ihm gerade an mir liegt: Hast du mich lieb? Welche Gnade, dass alles vergeben sein soll, was uns von ihm trennt! Ja, ich finde, das sind zwei wunderbare Gedanken, die sich sehr gut verbinden: Ein Christ ist einer, der sich von seinem Herrn ansprechen lässt. Und wenn er uns anspricht, dann will er wissen: Hast du mich lieb? - Wenn wir doch aus ehrlichem Herzen dazu ja sagen könnten! AMEN