Predigt zum Sonntag „Septuagesimä“ - 17.2.2019 Textlesung: Mt. 9, 9 - 13 Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten. Liebe Gemeinde! Stellen Sie sich doch einmal vor - nur einen Augenblick - dieser Wanderprediger Jesus käme heute bei Ihnen vorbei und verhielte sich wie damals. Wohlgemerkt: Nicht Jesus, der Christus, der Sohn Gottes, den wir als unseren Herrn und Erlöser bekennen stünde vor Ihnen! (Die Geschichte um Kreuz und Auferstehung lag ja noch vor ihm!) Nein, es erschiene heute bei Ihnen ein heimatloser Prediger, der überall herumzieht, der nirgends ein Dach über dem Kopf hat, der nicht mehr als sein Wort anzubieten hätte. Und er spräche so: „Folge mir!“ Aber ich glaube, wir müssen diesem Bild, diesem Vergleich noch deutlichere Züge geben: Sie säßen vielleicht gerade beim Frühstück und wollten jetzt zu Ihrer Arbeitsstelle aufbrechen. Oder - wenn Sie schon älter sind - Sie hätten eben vor, Ihr Mittagsschläfchen zu halten. Oder denken wir noch an die ganz jungen Leute: Ihr wolltet im Augenblick los, um mit ein paar Freunden oder Freundinnen durchs Dorf zu ziehen oder er erwischte euch gerade an der Bushaltestelle oder sonst einem Treffpunkt, wo ihr gemeinsam mit anderen überlegt, was ihr denn einmal anstellen könntet heute Nachmittag. Und er sagte nichts als dies: „Folge mir!“ - Ich gebe zu, es ist viel verlangt, sich das vorzustellen. Darum ergänze ich jetzt noch dies: Alle, die er anspricht, wüssten schon, dass dieser Mann nicht irgendein hergelaufener Spinner ist. Wir würden vielleicht an seinem Blick oder dem Nachdruck, mit dem er spräche, erkennen, hier ist mehr als irgendein Wort, hier geht es um etwas sehr Wichtiges, hier steht etwas auf dem Spiel. Um es nun aber ganz vergleichbar zu damals zu machen, müssten wir auch das noch sagen: Wir hätten auch schon von ihm gehört, diesem Mann Gottes, der Kranke geheilt und sogar schon Tote auferweckt haben soll. Aber gesehen haben wir das nicht. Es wäre bloßes Hörensagen und nicht unsere eigene Erfahrung. Trotzdem, wir sind uns gewiss einig: Wir würden seinem „folge mir“ höflich aber bestimmt unser „leider verhindert“ oder „heute nicht“ oder „habe anderes vor“ entgegensetzen. - Und da spätestens - wenn wir bisher mitgedacht haben - entsteht doch jetzt auch in uns die Frage: Warum folgt ihm denn dieser Zöllner Matthäus, von dem uns hier erzählt wird. Warum lässt dieser Mensch so Hals über Kopf seine Zollstation im Stich, um mit Jesus zu gehen. Ja, es scheint dem Erzähler dieser Geschichte nicht einmal wert zu erwähnen, ob dieser Mann Familie hatte, ob er jetzt nicht erst einmal seinen Koffer gepackt und sich von seinen Leuten verabschiedet hat. Noch einmal: Dieser Matthäus am Zoll wusste nichts anderes von Jesus, als das, was ich gerade geschildert habe: „Wanderprediger, Heiler, Mann Gottes“ - mehr aber nicht! - Warum folgt er? Nähern wir uns einer Antwort, indem wir noch einmal in unsere Zeit zurückkehren: Denken wir uns, der Mensch, der sich da gerade zu seiner Arbeitsstelle auf den Weg macht, hätte sich in seiner Firma schlimme Unterschlagungen zuschulden kommen lassen. Und er wüsste, das ist dem Chef auch bekannt. Er wäre also davon bedroht, seine Arbeit zu verlieren oder - günstigstenfalls - ohne Aufstiegschancen bis zur Rente nur noch in derselben Position seine Schulden abzuarbeiten. Ein solcher Mann würde dieses „Folge mir“ gewiss anders hören. Für ihn läge darin ein großes Geschenk! Die letzte Chance! Der berühmte „Strohhalm“ an dem sich ein Ertrinkender festhält. Und der ältere Mensch, der gerade seinen Mittagsschlaf machen will? Lassen wir ihn gerade darüber nachdenken, was er nüchtern betrachtet noch erwarten kann vom Leben? Wie lange werde ich wohl noch ohne die Pflege anderer auskommen? Wie viele Jahre werden mir noch - einigermaßen gesund - geschenkt sein? Und dann? Wen habe ich eigentlich für die dunklen Zeiten, die vielleicht noch auf mich warten? Bin ich nicht jetzt schon so oft allein? Und wie soll das dann erst werden? In diese Gedanken hinein spräche nun Jesus sein: „Folge mir!“ - Jetzt hört sich das anders an, nicht wahr? In diesen zwei Wörtchen läge jetzt eine große Aussicht, eine Hoffnung: „Bei diesem Menschen hätte ich vielleicht, was ich brauche, der wäre für mich da in meinen schwersten Stunden, der hielte bei mir aus und hätte am Ende gar die Macht über den Tod?“ Und bei den Jungen, die eben darüber beraten, was sie am Nachmittag treiben könnten? Die kämen vielleicht ins Gespräch über den Sinn und ihre Erwartungen im Leben. Vielleicht würden sie über ihre Berufswünsche und Zukunftschancen reden und nachdenken. Vielleicht käme zur Sprache, dass ja auch der beste Verdienst im tollsten Job eigentlich nicht glücklich machen kann. Es könnte wohl auch sein, dass einer davon spricht, dass doch alle Angebote für Freizeit und Unterhaltung irgendwann langweilig werden. Ja, wir denken uns, eine oder einer behauptete eine ganz schockierende Ansicht: „Eigentlich ist doch all der äußere Kram, die Dinge zum Kaufen, der Luxus und das Vergnügen irgendwann uninteressant und blöd!“ Stellen wir uns überdies noch vor, die anderen würden einen Moment schweigen und sie empfänden tief in sich drin, dass der oder die das gesagt hat, wohl irgendwie richtig liegt damit. Und jetzt - genau in die Gesprächspause hinein - sagte Jesus: „Folge mir!“ Und er böte damit ein Leben an, das sich lohnt, das Verheißung hat, in dem einer immer weiß, wofür er da ist, das auch an ein gutes Ziel führt...das - mit einem Satz gesagt - ein volles, rundes, sinnerfülltes Leben wäre. - Würde da die Antwort nicht vielleicht anders ausfallen, wenn dieser Mann Gottes uns ruft? Liebe Gemeinde! Wir wissen, dass bei Matthäus, dem Zöllner, alles das zugetroffen hat: Er war ein schuldbeladener Mann. Zolleinnehmer waren notorische Betrüger. Sein Ansehen bei den Leuten war das eines Verbrechers. Sein Leben lang wäre er seinen schlechten Ruf, den Makel, der an ihm klebte, niemals losgeworden. Und er war einsam! Vielleicht hat er ja noch eine Frau gehabt, aber gewiss keine Freunde. Jeder rechtschaffene Jude hat einen Bogen um ihn gemacht. Für spätere Jahre hätte er nur die totale Isolation vor Augen gehabt und den Tod. Und Sinn? Den wird er nicht in seiner Arbeit empfunden haben und in seinem übrigen Leben auch nicht. Denn es kann wohl nicht sinnvoll sein, dadurch, andere übers Ohr zu hauen, zwar gut zu verdienen, aber wie ein Aussätziger zu gelten und ausgestoßen aus jeder menschlichen Gesellschaft und Beziehung seine Tage zu fristen. - Für ihn ist Jesu Ruf die Chance! Er muss keinen Augenblick überlegen, bevor er sie ergreift! Und wir? - Das ist sicher hart jetzt, das zu hören, aber ich glaube, wir sind in genau derselben Lage! Wir mögen nun wissentlich niemanden betrogen haben, aber die Schuld unseres Lebens ist auch groß: All die Taten, die wir besser nicht getan hätten. All die Stunden, die wir ohne das rechte Tun haben verstreichen lassen. Die Worte, die wir gesagt und mit denen wir verletzt haben wie mit einem Messer. Aber auch die Worte, die ungesagt geblieben sind, mit denen wir doch hätten klären, vielleicht retten können. Dann unser Denken und Dünken, mit dem wir anderen zur Last gefallen sind, mit dem wir Gottes weite Liebe in uns eng gemacht haben und das anderen Gott selbst verdunkelt und vielleicht ihren keimenden Glauben zerstört hat. Und dazu noch all die Schuld, die nur wir selbst kennen und unser Gott. - Und die Einsamkeit und die Angst vor ungewisser Zukunft? Haben wir die nicht auch vor Augen? Steht das nicht groß vor uns, wenn wir es einmal nicht verdrängen und leugnen wollen? Und schließlich: Fehlt uns nicht auch ein letzter Sinn all der Jahre unseres Lebens? Sehnen wir uns nicht nach der Fülle...dass wir sagen können: „Ich weiß, wofür ich da bin. Ich habe erfahren, wofür all meine Jahre gut waren. Ich bin gewiss, wohin ich gehe.“ Liebe Schwestern und Brüder! „Folge mir“, sagt Jesus heute zu dir und mir. Wir wissen nicht, warum er gerade mit uns zu tun haben will, aber er will es. Wenn wir ja sagen und mit ihm gehen und bei ihm bleiben, wird er uns alles geben, was ein Mensch wirklich braucht: Vergebung der Schuld, Begleitung durch alle Tage des Lebens und Sinn, erfüllte Zeit und ein ewiges Ziel. - Zögern wir nicht länger. Sagen wir ja! AMEN