Predigt zum Palmsonntag - 9.4.2017 Textlesung: Mk. 14, 3 - 9 Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat. Liebe Gemeinde! Gerade bei so bekannten Geschichten geht es mir immer wieder so: Ob ich das will oder nicht, ich bleibe, wenn ich sie lese, an Gedanken oder Wörtern hängen, die auf den ersten Blick gar nicht so wichtig erscheinen. Hier zum Beispiel geht es ja sicher in erster Linie darum, dass eine Frau unseren Herrn für sein Begräbnis salbt. Dass also sein Leiden und Sterben unmittelbar bevorstehen und diese Frau das den Jüngern und den anderen Vertrauten Jesu noch einmal in Erinnerung ruft. Und auch uns soll das deutlich werden: Unser Herr geht wirklich in den Tod - für uns! Er muss die Straße nach Golgatha hinaufgehen und dort schändlich am Kreuz sterben. Das sollen wir dieser Geschichte zuallererst entnehmen. Zugegeben! Woran ich beim Lesen denken musste und was ich mich gefragt habe, war nun allerdings dies: Warum nur betont Jesus das so, was diese Frau an ihm tut? Warum soll dieser Frau das nicht vergessen werden, was sie getan hat? Warum soll immer, wo das Evangelium gepredigt wird, auch von der Salbung durch diese Frau erzählt werden? Ich glaube, dass es sicher viel mehr Wohltaten und viel größere Liebe gegeben hat, die Menschen an unseren Herrn gewendet haben: Mir fällt dazu Simon von Cyrene ein, der Jesus das Kreuz getragen hat. Oder schon viel früher Zachäus und die vielen anderen Gastgeber, bei denen Jesus und die Jünger bewirtet wurden und auch einmal ein Dach für die Nacht geboten bekommen haben. Oder ich denke an Josef von Arimathia, der dem Herrn sein eigenes Grab abtritt, dass man ihn hineinlegen konnte. Alles das sind doch auch gute Taten - mindestens so wertvoll wie jene, die diese Frau in Bethanien an ihm getan hat. - Aber ihrer allein soll gedacht werden, wo immer das Evangelium unter den Menschen verkündigt wird. Ist das nicht wirklich merkwürdig? Was ist das Besondere an gerade dem, was sie tut? Man könnte jetzt vermuten, es wäre dabei um die Sache selbst gegangen, die hier erzählt wird: Immerhin salbt diese Frau unseren Herrn für sein Begräbnis. Wir wissen ja, es wird hinterher nicht mehr möglich sein, dass ihn die Frauen am Ostermorgen salben, so wie es damals der Brauch war. Jesus wird dann nicht mehr im Grab liegen, denn er ist auferstanden! - Aber ich glaube, das ist es nicht! Dann hätte ja Simon, der das Kreuz geschleppt hat, zumindest dasselbe Recht, immer genannt zu werden, wenn von Jesu Leiden und Sterben die Rede ist und Josef, der sein Grab zur Verfügung gestellt hat, auch! Ich denke, es geht um die Art dieser Handlung an unserem Herrn. Dass sie nämlich unnütz ist, eine „Vergeudung“ wie die Jünger das mit einigem Recht nennen. - Eine seltsame Antwort auf unsere Frage, nicht wahr? Ich will das erklären: Was zählt denn in unseren Tagen an den Taten, die Menschen tun? Wir haben uns doch in dieser Zeit angewöhnt, bei allem und jedem nach dem Nutzen zu fragen: „Was kostet das?“ - „Wieviel wirft das im Monat ab?“ - „Was hab' ich davon?“ Und wir schrecken ja sogar davor nicht zurück, die Menschen nach dem zu beurteilen, was sie „bringen“, wieviel sie leisten und zu prüfen, wie gut „verwertbar“ sie für diese oder jene Arbeit, für diesen oder jenen Zweck sind. Und folgerichtig zählen Menschen heute - nicht nur im Krieg! - als „Material“, das man einsetzt, um möglichst produktiv zu arbeiten oder ein bestimmtes wirtschaftliches (oder politisches) Ziel zu erreichen. Und wieder folgerichtig wird bei einer Entlassung, die für die Entlassenen doch immer eine persönliche Katastrophe ist, nur ganz nüchtern von „Personalabbau“ oder verschleiernd gar von „Gesundschrumpfen“ gesprochen. Und in unserem kleinen Bereich, unseren privaten und geschäftlichen Verhältnissen hat genau dieses Denken auch schon Einzug gehalten. Die Vetternwirtschaft ist da ein Beispiel: Wenn ich dir dabei behilflich bin, diese Stelle zu bekommen, dann musst du mir dann aber auch die Aufträge der Firma zuschanzen, die vergeben werden. Und manchmal prüfen wir ja auch unsere persönlichen Beziehungen auf das hin, was „unter dem Strich eigentlich noch herauskommt“, wenn ich mit diesem oder jenem unbedeutenden Menschen Freundschaft halte. Und wir könnten wohl bald dahin gelangen, dass wir uns nach einer Bekanntschaft mit solchen strecken, die im öffentlichen Leben eine größere Rolle spielen oder deren Wohlwollen uns mehr Ansehen und Gewinn verspricht. Allerdings haben wir uns ein Gefühl dafür bewahrt, dass eine solche Sicht nicht in Ordnung ist. Vor allem darum, weil wir selbst auch nicht gern bewertet und auf unseren Nutzen hin untersucht und geprüft werden wollen. Es ist nun mal, einfach aber deutlich gesagt, unmenschlich einander nach dem Nutzen und der Leistung zu beurteilen. Und selbst schon Erfahrungen und Ereignisse, die Dinge und das Leben nach Wert und Ertrag zu betrachten, ist unmenschlich und wird unserem Auftrag nach Liebe und rechtem Handeln an den Nächsten nicht gerecht. Und - vor allem - es ist ganz und gar nicht evangelisch! Es entspricht nicht der Predigt und dem Leben unseres Herrn. Seine „frohe Botschaft“ heißt vielmehr: Du bist Gott unendlich wichtig! Du bist geliebt; für den Vater im Himmel hast du einen unermesslichen Wert. Und nicht wegen deiner Leistung! Nicht weil du so fleißig oder leistungsfähig wärest. Nein, du magst ein Macher sein, der rein alles kann oder ein Schwerstbehinderter, der im Torfbett liegt. Du kannst vielleicht durch Geist und Witz glänzen und hast einige Diplome vorzuweisen oder du bist geistig etwas schwerfällig und langsam. Vielleicht stehst du in vielen Kontakten, man schätzt dich und hört auf deine Meinung oder um dich her ist es einsam und du lebst mehr am Rande der Gesellschaft und der Gemeinschaft. Es ist gleich: Gott liebt dich! Du hast nicht weniger Kindes- und Erbrechte bei ihm, als jeder andere Mensch. Du bist unendlich viel wert - für Gott. Soviel, dass er seinen geliebten Sohn an den Tod opfert - für dich - wie für jeden anderen Menschen rings um die Erde. Aber die Geschichte von der Frau in Bethanien geht noch einen Schritt weiter - und wir sollen ihn mitgehen: Auch die Verhältnisse des Lebens, auch die Dinge, die uns umgeben, dürfen wir nicht immer nach Wert und Gewinn, nach Nutzen und Ertrag befragen! „Was soll diese Vergeudung des teuren Nardenöls?“, wollen die Jünger wissen. „Lasst die Frau in Frieden“, entgegnet Jesus. „Sie hat ein gutes Werk getan, das soll ihr nie vergessen werden!“ Heißt das nicht, dass er uns ermutigt und erlaubt, selbst Verschwendung zu treiben, da wo es um die Liebe geht, um die Freude oder den Trost eines anderen Menschen? Wie muss das Jesus gefreut haben, dass hier eine Frau nicht so einfach hinnimmt, dass er in den Tod gehen wird, Leiden und Schmerzen erdulden wird. Wie mag ihn das getröstet haben, dass sie so viel Geld aufgewendet hat, nur um ihn zu salben und ihm damit zu zeigen, wie lieb sie ihn hat und wie hoch sie schätzt, was er auf sich nehmen wird. Mir sagt das - und ich drücke das bewusst ganz deutlich aus: Niemals ist es zu viel der Liebe, wenn wir uns selbst oder auch nur Geld und Dinge vergeuden - solange es auch nur einem anderen Menschen Hoffnung, Trost oder Freude schenkt! Niemals ist auch die größte Verschwendung von Gefühl oder Sachen zu groß, wenn es auch nur einen Menschen fröhlicher macht oder ihm eine Stunde des Glücks beschert. Unser Herz und unsere innersten Regungen und schon gar die rein materiellen Güter sind vielmehr nur dazu da, dass Menschen durch sie zum Glück, zur Liebe und zum frohen Leben gelangen! Mir sagt die Verschwendung von Bethanien, dass es niemals genug ist, was wir füreinander tun. Wir können immer noch mehr Liebe aufbringen, immer noch mehr herzliche Anteilnahme aneinander, immer noch mehr Güte und Hilfe darf von uns ausgehen. Und selbst, wo wir für andere ins Verschwenden geraten, da werden wir noch gelobt! Hören wir doch: „Was betrübt ihr die Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan!“ Wirklich, es ist mehr als nötig, uns das immer und immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, worauf es für Christen ankommt, an die sich der Herr in diesen Leidenstagen selbst so vergeudet hat: Dass wir nun einander auch nicht mehr nach Wert oder Nutzen ansehen, sondern zur Liebe fähig werden, selbst zu einer Liebe, die sich verschwendet. Nein, dieses Beispiel der Frau aus Bethanien soll - und darf! - nicht vergessen werden! AMEN