Predigt am Sonntag „Lätare“ - 26.3.2017 Textlesung: Jh. 6, 55 - 65 Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Ärgert euch das? Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. Aber es gibt einige unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben. Liebe Gemeinde! „Ärgert euch das?“, fragt Jesus. Ich hätte am liebsten für die Vertrauten Jesu geantwortet: „Allerdings ärgert mich das!“ Und die Jünger müssen ja auch so etwas wie Ärger empfunden haben. Jesus hat ihnen das ja an ihren Gesichtern angesehen, und er hat ihr Murren gehört. - Aber worüber tuscheln die Jünger? Was war Anlass ihres Murrens? Ich denke mir, es ist diese rätselhafte Rede Jesu gewesen, bei der man sich doch so wenig vorstellen kann, die so viele Dinge anspricht, die ganz und gar nicht mit unserem Leben zu tun haben. Wer kann denn das begreifen: „Mein Fleisch ist die wahre Speise. Das Brot, das vom Himmel gekommen ist... Der Geist macht lebendig. Das Fleisch ist zu nichts nütze. Niemand kommt zu mir, dem es der Vater nicht gegeben hat.“ Und was an geheimnisvollen Worten hier noch enthalten ist. Was soll das denn bloß alles heißen? Warum spricht Jesus nicht klar und deutlich wie sonst auch? Warum hüllt er seine Predigt in eine Rätselrede ein, die doch nicht mit uns spricht? Und warum stellt er uns, den Auslegern des Evangeliums, eine so schwierige Aufgabe? - Ich weiß es nicht. Die Jünger haben es auch nicht gewusst. Machen wir uns also an die schwierige Aufgabe, diesen dunklen Worten eine helle Wahrheit abzugewinnen. Drei Dinge in diesen zahlreichen Worten und hintergründigen Gedanken sind ja wenigstens einigermaßen deutlich. Das erste ist dies: Jesus vergleicht seinen Leib und sein Blut mit einer Speise, die uns zusammenfügt zu einem Leib, einer Gemeinschaft. Wir denken dabei an das Abendmahl, und das meint Jesus sicher auch. In den Gaben Brot und Wein, so haben es auch unsere Konfirmanden gelernt, gibt uns der Herr Anteil an seinem Leib und Blut. Wir kommen in die engste Beziehung mit Jesus und untereinander, die überhaupt möglich ist: Ein Leib, ein Herr, eine Gemeinde... Wir sind wie die Glieder an einem Körper, keiner kann ohne den anderen sein, einer hat den anderen nötig, wenn einer fehlt, dann kann das Ganze nicht mehr leben und der Körper ist zu nichts mehr nütze... Jetzt, wo ich versuche, darüber zu reden, spüre ich schon wieder, dass ich auch nicht viel plastischer spreche als Jesus. Sie können sich das allenfalls hier oben im Kopf vorstellen, was da gemeint sein könnte. Vielleicht aber ärgert Sie meine Rede jetzt auch? Weil sie so in der Theorie steckenbleibt? Hören wir zusammen auf eine kleine Geschichte. Ich finde, sie ist ganz nah an dem, was Jesus uns wohl sagen wollte mit seinen rätselhaften Worten: Es gab einmal in einem riesigen Schiff eine ganz kleine Schraube, die mit vielen anderen ebenso kleinen Schrauben zwei große Stahlplatten miteinander verband. Diese kleine Schraube fing an, bei der Fahrt mitten im Indischen Ozean etwas lockerer zu werden und drohte herauszufallen. Da sagten die nächsten Schrauben zu ihr: „Wenn du herausfällst, dann gehen wir auch.“ Und die Nägel unten am Schiffskörper sagten: „Uns wird es auch zu eng, wir lockern uns auch ein wenig.“ Als die großen eisernen Rippen das hörten, da riefen sie: „Um Gottes willen bleibt; denn wenn ihr nicht mehr haltet, dann ist es um uns geschehen.“ Und das Gerücht von dem Vorhaben der kleinen Schraube verbreitete sich blitzschnell durch den ganzen riesigen Körper des Schiffes. Er ächzte und erbebte in allen Fugen. Da beschlossen sämtliche Rippen und Platten und Schrauben und auch die kleinsten Nägel, eine gemeinsame Botschaft an die kleine Schraube zu senden, sie möge doch bleiben; denn sonst würde das ganze Schiff bersten und keine von ihnen die Heimat erreichen. Das schmeichelte dem Stolz der kleinen Schraube, dass ihr solch ungeheure Bedeutung beigemessen wurde, und sie ließ sagen, sie wolle sitzenbleiben. Das zweite, was wir vielleicht den Worten Jesu entnommen haben ist dies: Es geht darum, wenn wir seinen Leib essen und sein Blut trinken, dass wir das ewige Leben gewinnen: „Wer dies Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“ Das Abendmahl Jesu, das wir ja auch wieder in diesen Passionswochen feiern wollen, hat also mit dem Leben in der Ewigkeit Gottes zu tun. Es nimmt dieses Leben, wenigstens eine Ahnung davon, vorweg. Wenn wir da gemeinsam zum Tisch unseres Herrn gehen, sind wir in unseren Gedanken schon in Gottes ewiger Welt. So werden wir dort auch einmal an seinem Tisch sitzen: Er der Gastgeber, wir die Gäste. So kann dieses Mahl sein, wenn wir es recht feiern und mit unserem Herzen dabei sind: So als wäre die ewige Gemeinschaft in Gottes Nähe schon angebrochen. Das kann eine große Freude schenken und uns sehr reich und sehr froh machen. Und es kann auch alle Feindschaft, alles was uns voneinander trennt und aneinander stört, aufheben und in Ordnung bringen. - Aber auch hier merke ich jetzt, wie das nur in unserem Kopf bleibt. Aber kann man von etwas - nur für den Kopf - reden, was doch mit unserem Gefühl, mit unserem Herzen und unserer Freude zu tun hat? Darum auch hierzu eine kleine Geschichte, sie will zu den Gedanken unseres Verstandes noch die Wärme des Gefühls geben: Es war in Südfrankreich. Junge Leute trafen sich zu einer ökumenischen Begegnung. Deutsche, Engländer, Franzosen, Dänen, Norweger, Belgier, Holländer und Amerikaner. Der Tag mit seinen Gottesdiensten und seinen Reden war zu Ende. Sie saßen im weiten Rund auf der Erde, in der Mitte brannte ein mächtiges Lagerfeuer. Sie sangen. Sie redeten und lachten. Da bat ein schmaler junger Belgier, sie möchten ihm erlauben, zu der Versammlung ein paar Worte zu sagen. „Ich muss euch etwas erzählen, Freunde. Ich war im vergangenen Krieg ein kleiner Junge und lebte in Belgien. Mein Vater und meine Mutter wurden von der Nazi-SS erschossen. Ich hatte mir geschworen, die Mörder meiner Eltern mein ganzes Leben lang zu hassen. Nun bin ich hierher gefahren, weil ich hoffte, französische Freunde zu treffen. Ich wusste nicht, dass auch Deutsche hier sein würden. Ich wäre sonst nicht gekommen. Denn es ist nicht möglich zu vergessen. Ich kann nicht vergessen. Ich kann nicht vergeben. Nein, es ist unmöglich. So habe ich es mir vom ersten Tag an gesagt. Ich wollte nun eben so tun, als wären sie nicht da. Heute Morgen beim Gottesdienst unter den Kastanien war neben mir ein Platz frei. Ein Deutscher kam und setzte sich neben mich. Ihr wisst, es war kalt heute Morgen. Ich hatte einen Umhang da, der Deutsche neben mir nicht. Es war klar, ich legte den Umhang um uns beide, aber ich sagte mir: Er ist nicht dein Freund. Er ist ein Deutscher, du musst ihn hassen. Er wusste es natürlich nicht und lachte mich an. Nachher, beim Abendmahl, standen wir vorn wieder nebeneinander. Da wusste ich: Christus ist nicht nur für uns, sondern auch für diese Deutschen gestorben. Und ich entdeckte, dass auch die Deutschen Brüder sind, dass sie nicht dreckige Feinde sind, sondern Brüder, auch Brüder im Glauben. Das ist alles, was ich sagen wollte. Das dritte schließlich, was wir diesen Worten Jesu entnehmen, ist seine Einschätzung des „Fleisches“, wir sagen manchmal auch „die Welt“ dazu und des Geistes, den nennen wir auch „das Herz“ oder „die Seele“: „Der Geist macht lebendig, das Fleisch ist zu nichts nütze.“ Was da nach Leibfeindlichkeit klingt, nach Verdammung des Körperlichen und einer Überbewertung des Geistigen, der Seele und des inneren Menschen, hat den Jüngern damals sicher die größten Rätsel aufgegeben. Und uns wahrscheinlich auch. Sicher könnten wir stundenlang darüber reden und streiten, ob denn nicht auch das Fleisch, also der Leib und seine äußeren, weltlichen Bedingungen wichtig ist und vor allem auch ein Geschenk der Güte Gottes. Und sicher könnten wir einiges dagegen vorbringen, den Geist derart überzubewerten. Aber hinter dieser deutlichen Scheidung Jesu in Geist und Fleisch höre ich eigentlich nur die Mahnung: Gebt dem Fleisch in eurem Leben nicht zu viel Raum und vor allem nicht die Führung! Der Geist - das Herz, die Seele - ist viel wichtiger. Er ist das Empfangsorgan für die Weisung und die Worte Gottes. Und das stimmt ja sicher auch. Unser Geist ist ja schließlich auch die Schaltzentrale für den Körper, die Organe, die Arme und Beine und für alles andere, was unser „Fleisch“ ausmacht. Aber wieder - und jetzt zum letzten Mal - soll eine Geschichte klarer ausdrücken, was Jesus wohl meint: Der Dichter Rainer Maria Rilke ging in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes regelmäßig über einen Platz, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt. Ohne je aufzublicken, ohne ein Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern, saß die Frau immer am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin warf ihr häufig ein Geldstück hin. Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum er nichts gebe. Rilke antwortete: „Wir müssten ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand.“ Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang war die Alte verschwunden; der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Nach acht Tagen saß sie plötzlich wieder wie früher an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. „Aber wovon hat sie denn in all den Tagen gelebt?“ fragte die Französin. Rilke antwortete: „Von der Rose.“ Jesus hat einmal gesagt: Was ihr, die Jünger, an meinen Worten begreift, das wird den einfachen Leuten, die nicht so vertraut mit meiner Sache sind, in Bildern, Gleichnissen und Geschichten zuteil. Ich glaube, unser Herr wird uns verzeihen, wenn wir - die doch sicher zu Jesu Jüngerinnen und Jüngern zählen wollen - bei seinen schwierigen Worten heute zu drei Geschichten Zuflucht genommen haben. Wenn wir ihn anders nicht verstehen konnten, so sind wir ja damit in guter Gesellschaft: Auch seine Vertrauten damals haben ihren Meister ja nicht verstanden und wegen seiner rätselhaften Worte gemurrt. Zum Ärgern und Murren ist für uns jetzt allerdings kein Anlass mehr. Ja, vielleicht konnten uns die drei Geschichten ein wenig näher bringen, was Jesus mit seiner Rätselrede sagen wollte? AMEN