Predigt am Vorl. Sonnt. im Kirchenjahr - 13. Nov. 2016 Textlesung: Röm. 8, 18 - 25 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. Liebe Gemeinde! Ich musste bei diesen Versen an das Kind denken, das zum Geburtstag das lang ersehnte Indianerzelt geschenkt bekommen hatte: Nach dem ersten Glück, der ersten großen Freude, trübt sich sein Blick und es beginnt bitterlich zu weinen. Gefragt, warum es denn weine, antwortet es mit tränenerstickter Stimme: „Weil das schöne Zelt ja doch einmal kaputtgeht!“ Geht es ihnen nicht auch manchmal so? Da haben sie gerade den letzten Dachziegel gelegt, da müssen sie daran denken, wann sie wohl das Dach das nächste Mal decken müssen. Oder sie stehen vor einem blühenden Obstbaum und ihre Gedanken wandern schon ein paar Wochen und Monate voraus - die Blüten zerstieben im Wind, die Blätter fallen, kahl und schwarz steht der Baum da an einem kalten Wintertag. Und selbst bei der Liebe ist das manchmal so: Wir haben den Menschen gefunden, mit dem wir unser Leben verbringen wollen und wir können uns mitten im innigsten Gefühl nicht wehren, dass uns das Weh der Trennung beschleicht, dass uns groß und schmerzhaft schon der Abschied vor Augen ist. Abschied...Tod...das sind ja ohnedies die Gedanken, die uns in diesen trüben Herbsttagen nach dem Gemüt greifen. Und gerade heute, an einem Tag, an dem die Erinnerungen an die Menschen, die wir liebten, kommen, wird es uns bewusst, dass es wahr ist und dass es ein schreckliches Verhängnis ist: Die Schöpfung ist unterworfen der Vergänglichkeit! Und selbst der, dem solche Erfahrungen bisher erspart geblieben sind, wird es im Blick auf diese Zeit und ihre bedrängenden Probleme klar erkennen: Es läuft alles auf ein Ende zu. Die Bevölkerung dieses Planeten wird - auch bei gerechter Verteilung aller Güter - nicht ewig ernährt werden können. Die Rohstoffe werden einmal zur Neige gehen. Und mir persönlich scheint es auch politisch, kulturell und gesellschaftlich dahin zu kommen: Alles vergeht, zerfällt, ja stürzt früher oder später zusammen: Wer hätte es vor der Wende für möglich gehalten, dass der ganze Ostblock auseinanderbricht? Und schauen wir uns selbst an und unser Leben in dieser Welt: Wenn wir noch ganz jung sind, dann mag es uns ja gelingen, die Gedanken ans Sterben und Vergehen zu verdrängen. Wenn man aber in die mittleren Jahre kommt...und wenn man schließlich die 60 überschritten hat...und wenn gar die 70 erreicht sind... Es muss alles ein Ende haben! Und eben nicht nur „alles“ - auch wir selbst! Warum spreche ich darüber? Will ich Ihnen - wenn Sie die nicht schon mitgebracht haben - jetzt trübe, angstvolle Gedanken machen? - Nein. Ich will nur, dass Sie wahrnehmen, was ganz bestimmt auch in ihrem Herzen ist, nur vielleicht mehr oder weniger deutlich und bewusst, mehr oder weniger von dem Bemühen verschüttet, zu vergessen und der Zerstreuung, die uns das Leben bietet, die ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Denn nur dann, wenn Sie Ihre eigene Sehnsucht, Ihr persönliches „Harren“ und Hoffen auf Gottes herrliche Zukunft in sich spüren, nur dann wird Sie auch die wunderbare, beglückende und befreiende Botschaft dieser Verse erreichen: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden dieser Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Es ist also alles endlich. Alle Dinge - und wir Menschen auch - sind gemacht, um einmal zu vergehen. - Das wollen wir sehen. Aber wir wollen dann nicht dabei stehenbleiben! Wir gehen auf eine herrliche, neue Welt zu, die sich uns auftun wird, wenn wir von dieser Welt Abschied nehmen müssen. Dort werden alle Dinge ins Reine und alle Beziehungen zu Blüte und Reife gelangen. Dort werden wir keine Sehnsucht mehr kennen - denn alles ist erfüllt. Dort gibt es keinen Krieg, der Menschen ins Elend, in die Gefangenschaft und auf die Flucht treibt. Dort ist kein Geschrei mehr und keine Krankheit und keine Angst. Freude wird herrschen und Frieden, endlich Frieden, unter den Menschen und in unsere Seele. Woher wir das wissen? - Wir „wissen“ es nicht. Manche Menschen würden sagen: Wir wünschen uns das nur, und darum wollen wir es gern für wahr halten. Weil wir uns so danach sehnen, soll es auch so sein! - Aber Gott selbst hält sein Wort dagegen - und nicht nur dieses: Denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Die ganze Heilige Schrift ist voll von solchen Worten: Ihr sollt leben, wie ich auch lebe. Ich will euch eine Wohnung bereiten im Himmel. Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. - Gut, würden nun auch hier manche sagen, das steht an vielen Stellen in der Bibel, aber das sind nun halt auch bloß Worte! Wer steht mir dafür ein, dass ich ihnen nicht vergeblich traue? Bloß Worte? Wir hören auch von Taten, ja, hinter jedem dieser Worte stehen Taten Gottes - Taten seines Sohnes Jesus Christus: Gelebt in dieser Welt wie wir, nur viel ärmer. Gelitten an der Macht und der Bosheit der Menschen. Gestorben an ihrem Hass, begraben und totgeglaubt. - Aber dann auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel, die Herrschaft angetreten in jener anderen Welt, in der er uns schon eine Bleibe eingerichtet hat! Das ist der Grund dieser Worte! Das ist der Grund unserer Hoffnung! Aber das trifft sich ja nun auch noch mit unserer Sehnsucht, die wir heute - mehr als sonst - in uns spüren. Wie weh tut doch der Abschied - schon von geliebten Dingen - und dann erst von Menschen, die unser Leben geteilt haben. Ihnen wie mir steht das doch jetzt vor der Seele: Die ungezählten Frauen, die ihre Männer und Söhne an das Ungeheuer des Krieges geben mussten. Die hunderttausende von Männern, die vom Leben kaum mehr erfahren haben als eine kurze Jugend und ein paar Schlachtfelder und Schützengräben - und dann den frühen Tod. Das unendliche Leid der Verwundeten und zeitlebens Versehrten. Der grenzenlose Schmerz all derer, die um ihre seelische und körperliche Gesundheit, um ihr Eigentum, um Freude und Erfüllung gebracht wurden. Seufzen nicht wirklich alle Menschen und die ganze Schöpfung, nach Erlösung, nach Freiheit von all dem Leid, all dem Schmerz und der Ungerechtigkeit? Ja, schreit nicht alles in uns - nicht nach Rache oder Vergeltung - aber nach Frieden und einem Ende all der Qual dieser Zeit, die doch noch täglich größer und bedrückender wird? Und dann sollte doch alles vergehen? Dann sollte doch das kalte Verhängnis des Todes Recht bekommen? Dann sollte nur das Vergessen, nur das schwarze Nichts hinter der Schwelle aus diesem Leben warten? Es kann nicht sein! Es wird nicht sein! Wir dürfen Gott glauben, dass er uns eine ewige Welt bereitet hat, in der alles sich löst, was uns hier rätselhaft ist und alles sich erfüllt, was hier unfertig und vielleicht zerbrochen liegenbleibt. Aber hier - genau an dieser Stelle, da unser Sehnen der Verheißung Gottes begegnet - genau an dieser Stelle kann uns nichts anderes mehr helfen als unser Glaube! Und diesen Glauben kann kein Mensch schaffen oder einem anderen ins Herz pflanzen. Diesen Glauben kann man auch nicht herbeireden - nicht einmal mit der ergreifendsten Predigt. Dieser Glaube ist - wie die ganze Schöpfung, wie alle Menschen und was sie haben und können - ein Geschenk Gottes! - Aber etwas können wir doch tun! Und das tun wir ja jetzt auch - schon seit Beginn dieses Gottesdienstes: Wir können unser Sehnen wahrnehmen. Wir können einmal denken und vor uns selbst aussprechen: Ja, das fehlt mir, dass ich weiß und glaube: Alles kommt zu einem guten Ende, zur Erfüllung, zum gerechten Ausgleich. Ich glaube, wir können nicht leben, ohne diesen Glauben. Wir können sie ja nicht immer weiter betäuben, wenn diese Gedanken in uns aufsteigen. Und sie tun es ja, je älter wir werden, immer stärker und häufiger. Und - Gott sei Dank! - wir müssen auch nicht ohne diesen Glauben leben. Ich bin überzeugt davon, dass unser Herz bereitet werden kann, wie man einen Boden für die Saat bereitet. Offen muss er sein, locker und aufnahmefähig. Wenn dann einer ein Korn hineinlegt, dann kann es aufgehen, treiben, wachsen, Blüte und Frucht bringen. So ist auch unser Herz. Unser Sehnen macht, dass es sich öffnet. Und das Wort, das uns heute trifft, will eindringen und in uns Wurzeln schlagen. Dann will es zur Hoffnung reifen und die gute Frucht des Glaubens hervorbringen. Ein Glaube, der weiß, dass seine Sehnsucht sich einmal erfüllt, dass er zum Ziel einer gewissen Zukunft unterwegs ist und nicht auf einer Irrfahrt mit unbestimmtem Ausgang oder gar ins Nichts und ins Vergessen. „Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Ich wünsche uns von Herzen, dass uns dieses gute Wort heute erreicht. Ich wünsche uns, dass es in uns eindringen kann, wie ein Samenkorn. Ich wünsche uns, dass es aufkeimt in uns und dass Glaube daraus wächst und die Hoffnung, dass einst die Vergänglichkeit dieser Welt der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes weichen muss. Das Dach, das wir decken, es beherbergt uns nur in dieser Zeit, aber einmal werden wir ein ewiges Haus bewohnen! Der Obstbaum der blüht, will uns mit seiner Blüte erfreuen und mit seinen Früchten beschenken. Die Liebe, die hier beginnt und doch einmal nach Gottes Willen enden muss, wird drüben zur Vollendung und Reife gelangen. Dort sind auch alle, an die wir heute denken und um die wir immer noch trauern, ewig geborgen. Aber selbst unser Seufzen und Sehnen hat einen Sinn: Alles nämlich, was uns hier schmerzt und quält, das Leid, die Krankheit, der Abschied, die Trauer...alles will in uns die Sehnsucht wecken und stärken, dass einmal die vergängliche Welt der Ewigkeit Gottes Platz machen muss. Und so wird es sein! Gott hat's versprochen. Gott sei Dank! AMEN