Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis - 11.9.2016 Textlesung: 2. Tim. 1, 7 - 10 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. Liebe Gemeinde! Das war ja nun kein besonders langer Text, trotzdem: Ich finde, man wird geradezu erschlagen von all den großen, gewichtigen Worten: Kraft, Selbstbeherrschung, Zeugnis, heilige Berufung, Gnade, Unvergänglichkeit... Mich hat ein Satz besonders angesprochen – gleich beim ersten Lesen: „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn!“ Geht Ihnen das genauso nah: Schäme dich nicht! Vielleicht sagen Sie: Wir stehen doch zu unserem Glauben. Wir halten uns zur Kirche dieses Jesus Christus. Wir nehmen am Gemeindeleben teil - keine Spur von Scham in diesen Dingen. Wir wollen sehen. Kürzlich waren Angehörige einer Sekte unterwegs. Sie läuteten an den Türen und wollten mit den Menschen ins Gespräch kommen. „Woran glauben sie? Meinen sie, dass man ohne Religion leben kann?“ Und sie fragten nicht nur. Sie gaben auch Auskunft, wofür sie sich einsetzen. Sie erzählten von ihrem Gott, von seinen großen Taten in der Geschichte und wie er ihr eigenes Leben verändert hat. Ich brauche nicht drum herumreden, ich spreche von den Zeugen Jehovas. Dieselben Leute treffen wir dann in den Städten in der Fußgängerzone. Sie halten uns den Wachturm und ihren Mut entgegen, ja: ihren Mut! Denn Sie, liebe Gemeinde, haben auch schon einmal gedacht: Allerhand so dazustehen und jedem sichtbares Zeugnis davon zu geben, was man glaubt, wozu man gehört. Nicht alle Menschen gehen so einfach vorbei, wie Sie das tun, wenn Sie einen von dieser Sekte an der Ecke stehen sehen. Mancher verspottet sie auch, zeigt ihnen seine Verachtung, lächelt, lacht über sie, kühlt sein Mütchen an ihnen. Darum sagte ich: Es braucht Mut, diesen Dienst zu tun. Diese Menschen - so fremd uns ihr Glaube auch sein mag - diese Menschen lassen ihn sich etwas kosten. Von einem Mann will ich noch erzählen, den es wirklich gibt. Er ist ein Christ wie du und ich, bloß: er tut ungewöhnliche Dinge. Auf offener Straße geht er mit ausgebreiteten Armen auf die Menschen zu, umarmt sie mit den Worten: „Jesus liebt dich! Jesus liebt dich!“ Ein Spinner!? Ein religiöser Fanatiker!? Jedenfalls sind die meisten Leute, die ihm begegnen, ziemlich außer Fassung: Von Schweigen über „Verrückter Kerl!“ bis zu übelsten Beschimpfungen reichen die Reaktionen seiner „Opfer“! Keiner aber würde ihm wohl Mut absprechen, Courage im Einsatz für seinen Glauben - so wie er ihn versteht. Im Leben, wenn wir einmal solchen Menschen begegnen, sind wir immer schnell fertig mit ihnen. „Zeuge Jehovas“, aha! „Ich gehe in die Kirche! Bei mir ist nichts zu machen! Ich habe meinen Glauben! Sparen Sie sich Ihre Worte! Wir bleiben bei dem, was wir gelernt haben.“ Türe zu und den Kopf geschüttelt: „Nein sowas, jetzt kommen die doch schon (auf die Dörfer) zu uns!“ Oder wenn uns das einer sagte, mit ausgebreiteten Armen: „Jesus liebt dich!“ Wie würden wir uns verhalten? „Nur schnell weg hier. Der spinnt ja! Der schadet dem Christentum ja mehr, als er ihm nützt; der vergrault die Leute ja, statt sie zu gewinnen. Peinlich, so etwas. Nur schnell weiter und den Kerl vergessen.“ Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn! „Ei, tun wir ja gar nicht! Aber die haben doch Jehova zum Gott...mit denen dürfen wir uns doch nicht einlassen!“ Und dieser Jesus- liebt-dich-Schwätzer? „Wenn das jeder tun wollte... Der macht das ganze Christentum lächerlich!“ Wir sind schnell fertig mit diesen Leuten. Kaum reicht es zum Erstaunen: Bewundernswert, so von Haus zu Haus gehen, immer abgewiesen werden, selten ein freundliches Wort und doch frei heraus sagen, was man glaubt, von Gott reden, Zeugnis geben, sich bekennen. Bewundernswert auch das andere: Einem auf den Kopf zusagen: „Du, die Liebe Jesu, sie gilt auch dir, glaube daran, probier's damit, ich stehe dafür ein, denn ich habe sie erfahren.“ Man wird sehr klein, wenn man einen Augenblick stehen lässt, wie diese Menschen ihre Sache vertreten und nicht gleich fragt, was das ist, wofür sie einstehen. Ich bewundere diesen Mut und ich muss an so viele unter uns denken, denen solcher Mut fehlt: Der Arbeiter aus frommem Haus kommt mir in den Sinn, der es in der Firmenkantine nicht fertigbringt, die Hände zu falten und den Kopf zu neigen, um still für sich ein Tischgebet zu sprechen, wie er's doch von zu Hause gewohnt ist. Einer könnte ja fragen: „Sag mal, du betest doch wohl nicht.“ An den jungen Mann muss ich denken, der am Sonntag eine Viertelstunde vor dem Gottesdienst dem Ruf der Glocken folgen will, nach dem Gesangbuch greift, um zur Kirche zu gehen. Er kommt aber dort nie an, denn er trifft seine Kumpels unterwegs. Das Gesangbuch ist in die Brusttasche gewandert, schon als er sie von weitem gesehen hat. Einer könnte blöde Fragen stellen: „Du wolltest doch wohl nicht zur Kirche?“ Und die vielen Gelegenheiten bei Familienfesten oder an den Stammtischen fallen mir ein, wenn das Thema „Religion“ verhandelt wird. Ich meine nicht, wenn's um die Kirche geht - die ist eine sehr menschliche Einrichtung. Ich rede auch nicht davon, wenn sie über die Pfarrer herziehen oder über die Menschen, die sich zur Gemeinde Jesu halten - da gibt es solche und solche, wie überall! Ich meine das: Wenn der christliche Glaube selbst in den Dreck gezogen wird. Wenn man aus der Geschichte Jesu Christi, der Geschichte deiner und meiner Erlösung, ein Ammenmärchen macht; und wenn sie dann fragen: „Du glaubst doch wohl nicht an Gott?“ Und ich denke an dein und mein Verhalten in solchen Situationen: Wenn wir herumdrucksen, wenn wir nichts oder nicht genug sagen, wenn wir mal schnell vor die Tür gehen, um frische Luft zu schnappen... „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unseren Herrn!“ Ich schäme mich, wie oft ich mich in meinen Leben schon geschämt habe, zu diesem Herrn zu gehören. Wie geht's Ihnen? Was hilft uns gegen die Scham? Was hilft uns zum mutigen Zeugnis, zum furchtlosen Bekenntnis? So seltsam das jetzt klingt, ich antworte: Der erste Versuch! Man muss es einmal probieren – gegen alle inneren Widerstände, gegen alle, ach, so guten Vorbehalte, gegen alle Ängste... Und es geht! ,,Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern der Kraft.“ Da neigt also der Arbeiter in der Kantine seinen Kopf und betet, während seine Kollegen schon angefangen haben zu essen. Und wirklich, einer fragt: „Du betest?“ Und er antwortet vielleicht: „Ja, ich bete, ich danke Gott, dass wir satt zu essen haben.“ Möglicherweise betretenes Schweigen in der Runde, ein herablassender Blick, man schaut sich an. Aber es ist einmal heraus! Man hat sich einmal nicht gedrückt, war stärker als die Scham. Bei der nächsten Gelegenheit geht's schon leichter. Oder das andere Beispiel: Da kommen also die Freunde in Sicht, wenn einer sich auf den Kirchgang macht. Und er fasst sich ein Herz, geht forsch auf sie zu - das Gesangbuch bleibt in der Hand! - und natürlich, sie fragen: „Du gehst zur Kirche?“ Und sie staunen nicht schlecht, wenn sie nun hören: „Klar, geh’ ich zum Gottesdienst! Und ihr, wollt ihr nicht mitgehen?“ So hat man gewonnen, gegen die Frager und gegen sich selbst, gegen Furcht und Scham. Und noch das: Sie lästern über den Glauben, treiben ihren Scherz mit allem, was dir heilig ist. Du entziehst dich einmal nicht, sondern stellst dich und antwortest: „Die Dinge, über die ihr spottet, sind mir wichtig, wichtiger als eure Gesellschaft!“ Du wirst sehen: Einmal den Mund aufgemacht zu haben, einmal nicht ausgewichen sein, sich einmal klar geäußert haben, das ist ein gutes Gefühl. Ein erster Versuch - bei dem es nicht bleiben wird. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn! Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben! AMEN