Predigt zum 2. Advent - 6.12.2015 Textlesung: Jak. 5, 7 - 8 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Liebe Gemeinde! Immer treffen solche Bibeltexte auf eine bestimmte Lebenssituation bei uns Lesern oder Hörern. Wir sind vielleicht gerade in einer sehr dunklen Zeit - dann wird uns ein Trostwort sehr willkommen sein. Oder wir haben gerade Sorgen oder Probleme - dann werden wir gern auf ein Wort achten, das dazu etwas zu sagen hat. Und es kann auch einmal sein, dass uns eine bestimmte biblische Geschichte überhaupt nicht erreicht, weil wir mit ihren Gedanken oder Personen keine Beziehung haben und überhaupt nichts verbinden. Ich habe neulich in einem alten Buch geblättert. Es zeigt das Leben früherer Zeiten auf dem Land in alten Bildern. Da gab es Fotografien vom dörflichen Leben, von Bräuchen und Ereignissen in alter Zeit, von der landwirtschaftlichen Arbeit im Sommer und im Winter, wie sie früher einmal selbstverständlich war. Und da hinein eben haben die Bibelworte für heute gesprochen. Sie haben wie von selbst die Bilder dieses alten Buches wieder in mir wachgerufen. So sind diese Bilder wie die Illustration zu diesen Bibelversen geworden: „So seid nun geduldig, liebe Brüder...“ Ausgerechnet mit „Geduld“ fängt dieser Text an und wir lesen „geduldig“ insgesamt drei Mal in diesen nur zwei Versen! Das Bild des Bauern, das von diesem Bibelwort gemalt wird, zeigt einen Mann, der warten kann, bis aus der Saat die Frucht wird. Und das eben ist es gewesen, was auch den Bildern aus dem alten Fotoband gemeinsam ist: Sie sprechen von Geduld, von Ruhe und vom Warten-können... Sie strahlen alle miteinander so etwas aus - ja, vielleicht können wir es Beschaulichkeit nennen oder Frieden oder gar Zufriedenheit? Ich denke da z.B. an ein Bild von der Kartoffelernte: Neun Menschen haben da zusammengearbeitet. Neun Menschen haben die Zeit gefunden, sich für ein Foto aufzustellen, und die Freude über die gemeinsame Arbeit und die Ernte steht ihnen im Gesicht geschrieben. – Was würden wir heute auf einem Kartoffelacker zur Erntezeit aufnehmen können? Einen Schlepper mit angehängter Erntemaschine vielleicht und ein Familienmitglied, das in aller Eile versucht, beim Einsacken der Kartoffeln Schritt zu halten? Möglicherweise aber könnten wir gar kein Bild machen, da es spät abends wäre und für ein Foto nicht mehr genug Tageslicht. Und das Bild von den Hochzeitsvorbereitungen für zwei Menschen aus dem Dorf fiel mir ein, aufgenommen vor 90 Jahren: Auch auf diesem Bild sieht man viele Menschen, 11 sind es genau, und nicht einer, der angesichts eines doch recht großen Ereignisses nun in Hektik verfiele. Die ganze Gesellschaft strahlt aus, dass sie Zeit hat, dass sie alle wissen, wir werden eine schöne Feier haben und dass der liebe Gott von Eile und Hetze nichts gesagt hat. - Wie wäre das heute? Was würde ein Bild von Hochzeitsvorbereitungen aus unseren Tagen zeigen? Vielleicht einen oder eine, die sich telefonisch bemüht, diverse Hochzeitsgäste zu einem Beitrag bei der Feier zu bewegen oder zum Backen eines Kuchens? Und telefonisch würde das wohl geschehen, wie gesagt. Und selbst zu einer recht modernen Einrichtung wie dem Busverkehr gab es in diesem Buch ein Bild, das viel Ruhe ausstrahlt: Die Menschen verabschieden sich vor dem Einsteigen, ja, der Busfahrer selbst hält die Tür auf und scheint sich überhaupt keine Sorgen zu machen, ob er seinen Fahrplan einhalten kann. - Wie rasch muss das doch in unseren Tagen gehen? Wie geizen wir mit Sekunden, obgleich doch heute fast jeder sein eigenes Auto zur Verfügung hat und eine Fahrt, wohin immer wir wollen, eine Selbstverständlichkeit und in einem Bruchteil der damaligen Zeit zu bewerkstelligen ist. Ja, jetzt könnten wir sagen: In früheren Jahren, noch vor sechs oder sieben Jahrzehnten, war alles halt noch beschaulicher und ruhiger, weniger gehetzt und nicht so von der Uhr bestimmt. Und so ist es auch gewesen. Aber warum? Da würden wir sicher sagen: Da herrschten noch andere Arbeitsbedingungen. Die Leute mussten nicht, wer weiß wie weit, zur Arbeit fahren, mussten nicht pünktlich um sieben oder acht auf der Baustelle oder im Büro sein, konnten zu Hause ihrem Tagwerk beim Pflügen und Säen nachgehen und sich ihren Tag viel mehr selbst einteilen. Auch gab es noch kein Fernsehen, das die Nachbarschaft beeinträchtigt und die Familien von einander isoliert hat, das Auto war noch kaum verbreitet, man musste halt daheim bleiben, weil man nur selten eine Möglichkeit hatte, auch nur in die nächste Stadt zu gelangen. Und noch einiges mehr würden wir hier nennen. Und alles wäre sicher richtig und ein Grund, warum die Zeiten früher weniger hektisch und die Menschen zufriedener und gelassener waren. Aber das wichtigste, wie ich denke, das hätten wir noch nicht genannt. Der wichtigste Grund nämlich, warum das heute anders ist, hängt mit etwas zusammen, das liegt nicht außerhalb der Menschen, hat wenig mit dem Arbeitsbeginn in Fabrik und Büro und nichts mit dem Fernsehen, dem Auto oder den anderen Dingen zu tun, die wir gern „Fortschritt“ nennen, sondern ist etwas innen im Menschen. Ich möchte es Geborgenheit, Ruhe in Gott nennen, vielleicht auch Vertrauen oder Glauben, jedenfalls ist es der Boden in unserer Seele, auf dem allein eine persönliche Beziehung zu Gott steht und wachsen kann. Ich möchte erklären, was ich meine: Die Menschen auf dem Kartoffelacker etwa strahlen aus, dass sie nach einer so reichen Ernte jetzt gut über den nächsten Winter kommen werden. Man sieht ihnen an, sie wissen: Für uns ist gesorgt, keiner wird hungern müssen, Gott gibt uns wieder genug zum Leben. Ein vergleichbares Bild von heute spräche eine andere Sprache: Schnell, schnell die Kartoffeln in die Säcke, später muss ich noch dies und das machen und heute Abend habe ich auch noch etwas vor. Für die Freude über das Geschenk der Früchte des Feldes ist kein Augenblick frei oder gar für einen Gedanken an Gott, der das alles hat wachsen lassen und für die Dankbarkeit... Oder das Bild vom Tag vor der Hochzeit: Vielleicht kommt die Gelassenheit der Menschen kurz vor einem so großen Fest daher, dass sie noch wissen, was morgen in der Kirche geschieht, ist das Wesentliche! Dass Gott vor dem Altar seinen Segen verspricht, davon werden die Brautleute leben und nicht von unseren Vorbereitungen, nicht von unserer noch so großen Mühe, unserem Hetzen und Schuften für einen gelungenen Festtag. „Gelingen“ kann alles ja doch nur, wenn Gott es will! Und selbst das Foto mit dem Bus und den Fahrgästen sagt etwas davon, dass man mit Ruhe, ja, fast mit Besinnung in dieses Fahrzeug steigt. Es geht nicht darum, jetzt ganz schnell in die Kreisstadt oder sonst wohin zu gelangen. Auch die Fahrt selbst wird man genießen und sich dran freuen. Schon der Weg ist ein Stück Ziel. Das wird eine ganze Weile dauern - aber diese Weile hat man! Man wird mit seinen Gedanken nicht irgendwo sein, unterwegs, sondern bei der Fahrt. Man wird sich am Wetter freuen, an Gottes schöner Natur draußen und wird ansonsten schauen und staunen. Liebe Gemeinde, ich denke, sie wissen jetzt, was ich meine. Wir Menschen dieser gehetzten Zeit sind meist weder bei Gott noch bei der Sache, allenfalls hier, am Sonntag oder hin und wieder, wenn uns eine Krankheit aufs Lager wirft oder ein Trauerfall an den Trost und die Hilfe Gottes weist. Wir sind nicht mehr in uns zu Hause, wie es der Seelsorger sagt, nicht mit uns selbst identisch, wie es der Psychologe sagen würde. Es gelingt uns nicht, unser Leben zu „entschleunigen“, wie das heute modern heißt. Wir haben keine Zeit. Wir müssen immer noch und noch etwas machen. Wir besitzen schon dies und das und wollen doch immer mehr. Wir waren schon hier und da und müssen auch noch dorthin! Wir haben schon einiges erreicht - aber es muss noch dieses und danach noch jenes sein. Denken sie nicht, ich wäre über der Betrachtung des Fotobands neulich nun nostalgisch geworden und sehnte mir die „ach, so gute alte Zeit“ zurück. Das nicht. Aber ich sehne mich - auch persönlich! - nach der Geborgenheit in Gott und in mir selbst und der inneren Ruhe der Menschen früherer Jahre. Und ich weiß, das würde mir sehr gut tun und sicher uns allen, wenn wir auch ein Stück davon hätten. Es ist diese gelassene Lebensart, die weiß, dass ein Gott über uns ist, dass unser Leben nach einem Plan verläuft wie das Jahr der Natur, dass alles weise geordnet ist und immer der Saat eine Ernte und der Blüte eine Frucht folgt. Und es ist eben das Wissen, dass nicht wir es machen, nicht unser Hasten und schaffen dem Glück oder dem Schicksal irgendetwas abzutrotzen vermag. Es ist die Gewissheit, der Glaube, das Vertrauen, Gott wird es wohl machen, weil er mich liebt, weil er mich kennt, weil er mein Bestes will und auch das meiner Schwestern und Brüder mit mir und auch durch mich. Und das eben ist für mich der Geist, den ich aus diesen Bibelworten heraushöre, so wie sie gerade heute, in diesen Adventstagen zu uns sprechen wollen. 2. Textlesung: Jak. 5, 7 - 8 AMEN