Predigt zum Sonntag "Jubilate" - 11.5.2003 Textlesung: Jh. 15, 1 - 8 Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, daß sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. Liebe Gemeinde! Diese Worte klingen auf der einen Seite so schön, so hell und erbaulich, daß man auf der anderen Seite vielleicht gar nicht mehr hört, wie ernst sie auch sind: "Wer nicht in mir bleibt, der wird weg- geworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen." Wir Leute von der Kirche, wir PfarrerInnen, wir ehrenamtlichen Verkündiger, wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gemeinde müssen uns ja auch vorsehen, daß wir nicht zu hart weitersagen, was wir hier lesen. Das könnte die Menschen ja ärgern, verstören, verprellen... Dann kommen sie am Ende nicht mehr zum Gottesdienst, in die Kreise und Gruppen der Gemeinde. Dann sagen sie vielleicht: "Muß ich mir so etwas anhören?" Oder ist es ganz anders? - Haben wir die Härte der biblischen Botschaft in den letzten Jahren in un- serer Kirche - und daher für die Gemeindeglieder doch auch namens und im Auftrag unserer Kirche - vielleicht viel zu sehr unterdrückt? Haben wir die ernsten Gedanken der Heiligen Schrift ent- schärft und ihre klare Forderung und Warnung hinter anderen Worten, die wir und die Leute lieber hören, weil sie uns nicht in Frage stellen, versteckt und verborgen? Ganz deutlich gesprochen: Ha- ben wir die Botschaft, daß "Reben auch verdorren" können und "ins Feuer geworfen werden und brennen" müssen etwa zu lässig und zu leicht übergangen? - Soll das heute nun eine Drohpredigt geben? Werden jetzt sozusagen unter uns die Flammen der Hölle entzündet? - Das nicht, aber wir wollen mindestens einmal angemessen mit den Worten Jesu umgehen, beide Seiten hören, auch die ernsten Gedanken und Worte zu uns sprechen lassen. Und ganz deutlich und konkret soll das auch werden! "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben", sagt Jesus. "Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht..." Das hören wir doch gern, nicht wahr? Wir Christen hier in der Gemeinde zäh- len uns doch auch zu diesen Reben, die am Stock hängen und gute und zahlreiche Früchte hervor- bringen! - Ich mußte an die Kirchenvorstandswahl in (unserer Landeskirche) der EKHN denken und was hinterher dann in den Zeitungen zu lesen war: Große Zufriedenheit in der Leitung der Kir- che mit einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung von 19 %, die im Verhältnis zum Ergebnis der letzten Kirchenwahl von 21 % nur leicht zurückgegangen wäre! Von einer "stolzen" Beteiligung von knapp über 10 % in einer Stadtgemeinde war da die Rede und vom großen Interesse einer ande- ren Gemeinde, wie es sich darin ausspricht, daß 6,8 % der Gemeindeglieder zur Wahl gegangen sind. Nun sagt Jesus aber auch: "Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt." Und von diesem Wort her, müßte unser Kommentar zu dieser Kirchenwahl wohl ganz anders ausfallen: "Welche Katastrophe ist das doch, wenn im Schnitt nicht einmal jedes fünfte wahlberechtigte Gemeindeglied den Weg ins Wahllokal seiner Kirchengemeinde findet - und das muß es nur alle sechs Jahre einmal! Wie groß der Werbeaufwand für die Wahl, wie bequem auch die Möglichkeit, Briefwahl zu ma- chen und wie klein die Mühe, die paar Schritte dorthin zu gehen, wo die Wahlurne steht und ich mein Interesse an der Arbeit meiner Gemeinde und vielleicht den Dank gegenüber meinen Kir- chenvorsteherInnen für sechs Jahre Mühe und Fürsorge bekunden kann. Und wenn in manchen Gemeinden sogar nur jeder 10. Christ wählen geht oder jeder 20. - dann ist das doch eigentlich der Offenbarungseid der einst großen Bedeutung der Kirche für das Leben und die Orientierung der Menschen. Und ganz deutlich mit Jesu Wort gesprochen, müßten wir sagen: Hier können wir zu- mindest vermuten, daß in unseren Tagen viele "Reben" nicht mehr am "Weinstock" hängen und darum keine "Frucht mehr bringen" können, denn wo sind wir denn in dieser Zeit noch mit dem Weinstock "Jesus Christus" verbunden, wo hören wir denn von ihm und wo stärken wir uns gegen- seitig im Glauben an ihn, wenn nicht in unserer Kirchengemeinde? Aber es gibt noch ganz andere Beispiele dafür, daß wir in der Vergangenheit die ernste und harte Rede, die klare und darum heilsame biblische Botschaft vernachlässigt haben - und das gilt nun wahrhaftig nicht nur für die, denen die Verkündigung in der Kirche anvertraut ist: Wie schnell sind wir doch als Eltern, die sich zur Kirche halten, "dankbar und zufrieden", wenn unsere Kinder, nachdem sie konfirmiert sind, wenigstens einmal im Jahr - neben Heiligabend - zum Gottesdienst gehen! - Müßte uns nicht eigentlich das Entsetzen packen, wie wenig das Versprechen bei der Kon- firmation: "Ja, ich will bei der Gemeinde bleiben, die aus Gottes Wort und Sakrament lebt", nach ganz kurzer Zeit noch zählt - bei unseren Kindern, die wir doch "christlich erzogen" haben? Und wenn wir an unsere Ehegatten und LebenspartnerInnen denken: Wann haben wir zuletzt wirk- lich ernsthaft darüber nachgedacht, ob das eigentlich angemessen ist: Den Tisch und das Bett, die Freizeit und den Urlaub und ein großes Stück des Lebensweges zu teilen, und doch noch nie dar- über gesprochen zu haben, was der Mensch an meiner Seite glaubt, wie er's mit Jesus Christus hält, was ihn trägt und was er nach dem Tod erwartet. Und noch trauriger ist vielleicht: Wenn wir schon darüber nachgedacht haben, daß es doch nie zu Taten geführt hat, zu einer Frage, einem Gespräch. - Wie leicht fällt es uns doch, erkennen zu müssen, daß unser Partner, unsere Partnerin nicht am sel- ben "Weinstock" hängt wie wir! Und - das ist vielleicht das Schlimmste - wie fraglos bleibt es bei dieser Erkenntnis, ohne daß wir endlich den Gedankenaustausch über die wichtigsten Fragen des Lebens aufnehmen - mit den liebsten Menschen, die wir doch haben! Aber ich will noch von solchen Erfahrungen reden, da können wir nicht sagen, wir hätten schließ- lich keine Kinder oder Lebenspartner, da sind wir alle betroffen: Wie selbstverständlich nehmen wir es doch hin, daß in unserer Gesellschaft, die sich im Grundgesetz "christlich" nennt, die Bezie- hung zum christlichen Glauben und die Achtung etwa der christlichen Feiertage immer mehr zu- rück geht und zurück gedrängt wird. Wer von uns hat an die ARD geschrieben und sich darüber be- schwert, daß am letzten Karfreitag abends um 20.15 h eine absolut seichte Musikshow gelaufen ist? Wer hat die Frau, die in unserem Ort neulich aus der Kirche ausgetreten ist, danach gefragt, wie sich dieser Austritt eigentlich damit verträgt, daß sie doch Mitglied in der Partei ist, die das "C" für "christlich" im Namen hat? Wer wird, wenn nun bald schon wieder die Vereine das "Vatertags- Grillen" oder die "Kneipenkur zum Vatertag" ankündigen, den jeweiligen Vorsitzenden darauf aufmerksam machen, daß wir Christen an diesem Tag der Himmelfahrt unseres Herrn gedenken? "Ich bin der wahre Weinstock", sagt Jesus. Wie schön, wie wunderbar ist das doch! Wie können wir uns daran freuen, daß er das für uns ist, sein will und wie dankenswert, wenn wir die Verbin- dung zu ihm haben dürfen! Daraus bezieht unser Leben seine Fülle, daraus kommt seine Frucht und darin liegt unsere Zukunft - in Ewigkeit! Aber das andere ist auch wahr und wir müssen es genau so in diese Zeit und die Ohren der Men- schen, zumal der Christen hineinsagen: "Wer nicht in Jesus Christus bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen." An Menschen, die noch den Ausverkauf des Christentums schön reden, an Verkündigern von wohl- feilen Heilsbotschaften haben wir in unseren Tagen weiß Gott genug! Es fehlt an solchen Zeugen für die Wahrheit, die das Frohe, Befreiende an Gottes Botschaft weitersagen, die aber auch klar und deutlich davon reden, was die Menschen erwartet, die sich von Gott lossagen, sein Wort mißachten und die Verbindung zum Weinstock Jesus Christus aus eigenem Willen kappen. Die halbe Botschaft der Bibel kann nie die ganze Wahrheit sein! Noch aus den schlimmsten Zei- chen für die Entchristlichung unserer Gesellschaft staunenswerte Erfolge und angebliche Zufrie- denheit zu destillieren, ist nicht unser Auftrag! Wir sollen - jeder und jede an seinem, an ihrem Platz - die Wahrheit in diese Welt und die Gemeinde Jesu hineinrufen, auch, ja gerade, wo sie viel- leicht nicht mehr gern gehört und aufgenommen wird. Ein solches Reden, Handeln und Predigen hat diese Verheißung: "Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger."