Predigt am Ostersonntag - 20.4.2003 Liebe Gemeinde! Mit der Osterfreude wird es jedes Jahr schwieriger! Geht es ihnen nicht genau so? Schon am An- fang dieses Gottesdienstes ist das doch deutlich geworden: Der Herr ist auferstanden, habe ich ih- nen zugerufen. Was für eine Botschaft! Der Tod ist also besiegt, das Leben gewinnt am Ende und die Liebe und die Vergebung der Schuld... Aber - hat sie das vorhin wirklich froh gemacht? Hat ihr Herz zu hüpfen begonnen? Und diese Nachricht geht ja nicht nur irgendwen an. Wir sind gemeint! Wir werden auch auferstehen wie unser Herr. Unser ewiges Leben ist uns verdient durch Christus. Aber hat sie das überwältigt? Hat das alle ihre Gedanken gefangengenommen - wenigstens für die- sen Tag, ja, wenigstens bis jetzt? Auf der anderen Seite ist das doch heute ein Freudentag - selbst für die weltlichsten Leute, die ei- gentlich gar nicht mehr wissen, was der Anlaß dieses Festtags ist, geschweige denn, daß sie diesen Anlaß ehrlich feiern. Ist das aber nicht merkwürdig: Alles und jeder jagt heute der Freude nach - sie will sich aber nicht fangen lassen. Kein Mensch, der trübe Gedanken mit Ostern reimen könnte - und doch gelingt es uns und der Botschaft dieses Tages nicht, sie zu vertreiben. Warum kommt die große Freude nur nicht zu uns, wie sie nun wirklich zu dieser gewaltigen Nachricht gehört: Der Herr ist auferstanden - und wir werden auch auferstehen!? Ich habe mit dieser Frage im Kopf und im Herzen die Verse gelesen, die uns für heute zu predigen verordnet sind. Und ich habe doch wirklich zwei wichtige Hinweise gefunden, warum wir uns viel- leicht heute mit der Freude so schwertun. - Aber hören sie zuerst auf diese Verse aus dem Markus- evangelium: Textverlesung: Mk. 16, 1 - 8 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jako- bus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, daß der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein lan- ges weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, daß er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich. Liebe Gemeinde, der erste Hinweis, warum wir's mit der Freude so schwer haben, war diese Frage der Frauen am Ostermorgen: "Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?" Der Felsblock, der das Grab versperrte, war gewaltig groß und schwer! Die drei Frauen hätten ihn beim besten Willen nicht bewegen können. So ist es das Selbstverständlichste von der Welt, daß sie darüber nachden- ken: Wer wird uns helfen? Wer wird mit anpacken? Wer hätte denn das für möglich gehalten, daß Gottes Kraft schon längst getan hatte, worum sie sich Gedanken machten? - Ich habe eine Fülle von Beispielen gefunden, wo wir's heute, in dieser Zeit und in diesen Tagen genauso halten wie die drei Frauen: - Wenn einer vielleicht eine Operation vor sich hat. Was geht in ihm vor? "Ob ich noch einmal nach Hause komme? Ob es nichts Böses ist? Ob der Chirurg sein Handwerk auch wirklich ver- steht? Ob das Team im OP gut eingespielt ist, daß keine Fehler passieren? Ob ich mich dann wieder erhole?" Da werden Dinge im Herzen bewegt, da wird über Menschen nachgedacht und über die eigenen Kräfte... Wer denkt an Gott, wer legt alles in seine Hand, wer vertraut ihm, der vielleicht schon längst alles getan und geboten hat, was wie ein Felsblock vor uns liegt? - Oder wenn wir uns jetzt die Sorgen eingestehen, die wir uns um die Zukunft machen, die Zukunft der Welt, der Menschen in unserem Land, und von uns selber. Was geht in uns vor? Ob der Irak- Krieg nicht schreckliche, bedrohliche Folgen für viele Jahre haben wird? Ob wir die drohende Kli- makatastrophe noch abwenden können? Ob wir mit all dem Gift in unserer Nahrung, im Meer, in der Luft und im Boden noch alt werden können und erst unsere Kinder und Enkel? Wird uns Fana- tismus und Terrorismus überall auf der Welt nicht in ein Chaos stürzen, das wir nicht mehr bändi- gen können? Ob ich wohl persönlich gesund und an gedeckten Tischen alt werden darf? Ob ich meine Arbeit nicht verliere und von Not und schlimmem Schicksal verschont bleibe? Und was uns noch alles beschäftigt. Ich will nun keinesfalls den Einfluß von Politikern und Wirtschaftsführern verkleinern - sie haben anzuordnen und zu verantworten, was oft genug den Menschen, der Natur oder der Zukunft des Globus abträglich ist. Und gebe Gott, daß die übelste Verschwendung und der schlimmste Raubbau an Rohstoffen und die weltweite Zerstörung von Boden und Wäldern endlich aufhört. Aber wer bringt bei all diesen Sorgen und Befürchtungen Gott ins Gespräch? Wer erwartet von ihm etwas? Wer geht auch nur davon aus, daß er doch alles genau sieht und schmerzlich fühlt, was seinen Menschen und seiner Schöpfung angetan wird? "Wer wird uns den Stein von unserer Seele wälzen?" Da ist ein Gott im Himmel und in der Welt, der hat ein Auge auf alles, was uns sorgt und ängstigt - und er hat die Hand schon an den Stein gelegt! - Und noch ein drittes - und da bringe ich mich auch sehr persönlich ein: Was machen wir uns doch auch Gedanken um den Glauben der Menschen! Was soll aus den vielen Menschen aus der DDR werden, die jetzt unsere Nachbarn in unseren Dörfern und Städten sind, die innerhalb unserer christlichen Gemeinden wohnen, aber die nicht getauft sind, denen Jesus Christus nichts bedeutet, weil sie ihn in ihrer Kindheit nie kennengelernt haben? Die vielen Austritte aus der Kirche, die es immer wieder (auch in unserer Nähe) gibt - und meist nur wegen der paar Euro Kirchensteuer, die im Grunde den wenigsten wirklich weh tut! Muß da nicht auch der Glaube in unserem Volk immer mehr abnehmen? Und dann das Desinteresse vieler Eltern an und in der Konfirmandenzeit ihrer Kinder. Da vergehen 12 Monate, in denen keine Mutter und kein Vater einmal das Kind zum Got- tesdienst begleiten. Von den Paten gar nicht zu reden. Auch hier will ich nicht verharmlosen - wirk- lich nicht! Das ist sehr schlimm und sehr ernst zu nehmen. Aber Gott ist auch noch da! Was heißt: "auch noch"? Er ist da und er hat die Dinge in seinem Plan und er rührt den Felsen an, der uns so schwer vor dem Herzen liegt und wälzt ihn beiseite. Ja, darum haben wir's so schwer mit der Freu- de: Weil wir Gott nichts zutrauen, weil wir inzwischen immer nur von Menschen etwas erwarten und erhoffen. Weil wir einfach nicht damit rechnen, daß unser Gott eingreift, rettet, hilft... Auch an Ostern ist das so: "Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?" - Aber der Stein ist schon weg- gewälzt. Gott hat schon gehandelt. Und auch bei den anderen Dingen ist das so, unseren Sorgen, unseren Ängsten, den Befürchtungen und all den trüben Gedanken: Die schwere Operation gelingt und wir werden wieder gesund. Gott wird dem Operateur die Hände führen; es liegt sein Segen auf ihm und uns. Und wir leben doch gut, es gibt auch Hoffnungszeichen angesichts der Bedrohung, bei manchen Entwicklungen wurden die Weichen schon auf Zukunft gestellt, in den letzten 20 Jahren ist der Umweltschutz doch in die Köpfe der Menschen vorgedrungen. Es ist zu schaffen, es ist Hoffnung, wenn wir alle mitanfassen. Wir haben noch Zeit. Gott gibt uns die Zeit, die Hoffnung, die Zu- kunft... Und der Glaube der Leute? Ja, viele treten aus - aber wird da nicht nur vollzogen, was innerlich schon lange so war? Und viele Kinder sind nicht mehr getauft in unseren Schulklassen und Kinder- gärten. Aber sie haben Fragen an das Leben, an die Christen! Gerade die, die nicht so selbstver- ständlich dazugehören, wollen wissen, was es damit auf sich hat: Getauft sein, Christ sein... Das be- reichert auch! Wer in Frage gestellt wird, muß sich um Antwort bemühen. Das läßt den eigenen Standpunkt überprüfen und (neu) bestimmen. Gut, die Kirche "hat" diese Menschen nicht mehr - Gott aber läßt sie doch nicht los! Und darauf kommt alles an! Und die Anfragen, die von solchen Menschen ausgehen, tun uns sogar noch gut! Auch darin liegt Segen Gottes, Hilfe, Tat und Plan. Aber wir sehen es nicht. Wir rechnen nicht damit. Wir können es nicht glauben - auch wo wir es schon erfahren haben. "Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?" Wir selbst verstellen der Freude den Weg in unser Herz! Und hier ist der zweite Hinweis dieser Osterbotschaft, warum die Freude in uns nicht groß werden kann: Nachdem sie die Macht Gottes erfahren haben und die Nachricht gehört haben, Christus ist auferstanden - gehen sie doch voll Angst und Entsetzen davon "und sie sagten niemandem etwas." Sie schweigen von dem, was sie erlebt haben. Sie verschließen das in sich, so kann es nicht frucht- bar werden für andere in Ängsten und Zweifeln und für sie selbst auch nicht. - Und ist nicht auch das bei uns genau so? Wir schweigen von den Zeiten, den schlimmen Stunden, in denen wir Gottes Beistand und Kraft gespürt haben. Wir reden nicht davon, wie uns Gott den Felsen der Sorgen von der Seele genom- men hat. Wir stellen all das Gute nicht neben die dunklen Befürchtungen und bösen Ahnungen. Wie würden wir uns aber gegenseitig stärken, wenn wir uns erzählten: Du, ich habe damals im Krankenhaus Gott erlebt. Ich habe gebetet, alles ihm anheimgestellt - und er hat mich keine Minute verlassen! - Was uns dann unser Gegenüber sagte, würde gewiß wieder unser eigenes Vertrauen stützen! Und bei den Ängsten und Zukunftssorgen ist es genau so: Wenn wir uns nur gegenseitig davon sagten, von der Furcht wie von der Hilfe Gottes. Wenn wir's nur nicht länger verschweigen wollten, wie Gott den Felsen beiseite gerollt, das Grab der Angst geöffnet hat und bei uns Hoffnung und Zuversicht auferstanden ist! - So kämen wir Ostern und seiner gewaltigen Botschaft auf die Spur: Der Herr ist auferstanden und wir werden auch auferstehen! Sagen wir doch nicht länger: Wer wird uns den Stein vom Grab wälzen, sondern: Gott wird das tun! Und nicht länger stumm sein und schweigen, sondern von all den wunderbaren Taten Gottes an uns reden! So wird es Ostern. So kommt die Freude zu uns! Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!