Predigt zum 4. Adventssonntag - 22.12.2002 Textlesung: Lk. 1,(39-45) 46-55 (56) Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir das, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn. Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des- sen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. Liebe Gemeinde! Welche Bilder kommen ihnen vor Augen, wenn sie Maria so sprechen hören: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes... Vielleicht sehen sie den Engel vor sich, wie er Maria die Geburt Jesu ankündigt? Oder sie sehen sie im vertrauten Gespräch mit ihrer Verwandten Elisa- beth, wie es hier beschrieben ist. Vielleicht aber auch geht es ihnen wie mir: Mir kamen die Bilder in den Sinn, die Maria unter dem Kreuz dieses Jesus zeigen, dessen Geburt sie hier noch erwartet. Und an die besonders traurige Darstellung der Mutter mit ihrem Sohn mußte ich denken, die man 'Pieta' nennt: Maria mit dem Leichnam Jesu in ihren Armen... Und wenn ich nun das Thema dieses vierten Adventssonntags höre: "Freude über die anbrechende Heilszeit", dann schäme ich mich fast dafür und frage mich: Warum nur gibt es nicht die reine, die unverfälschte Freude? Warum können wir so kurz vor Weihnachten nicht einfach einmal bei Weihnachten bleiben? Warum mischen sich immer schon und immer gleich diese trüben, dunklen Gedanken mit hinein in die Freude? Es ist wie bei dem Kind, das zu Weihnachten einen Bollerwagen geschenkt bekommt, den es sich schon so lange gewünscht hat. Als das Kind die heiß ersehnte Gabe unter dem Christbaum findet, weint es bitterlich. Als der Vater fragt, warum es denn weine, stößt das Kind mit tränenerstickter Stimme hervor: Ich weine, weil der Bollerwagen ja doch einmal kaputt geht! Dürfen wir also nicht auch schon diese traurigen Bilder vor Augen haben - heute da wir von der Freude der Maria darüber lesen, daß sie von Gott zur Mutter seines Kindes erwählt ist: ...weil das Kind, das hier erst noch geboren wird, ja doch einmal in Leiden und Sterben geht und ans Holz des Kreuzes geschlagen wird? Wie Maria wohl selbst empfunden hat? Ob sie gar nicht wußte, was ihr Kind für einen Weg gehen sollte, gehen mußte? Ich glaube das nicht! Schon eine Geburt, die eine Frau vor sich hat, besonders wenn es die erste ist, weckt doch nicht nur Freude, nicht nur Gefühle des Glücks, nicht nur Hoff- nung und Zuversicht. Da mischen sich doch immer auch die Ängste mit hinein: Wird alles gut ge- hen? Ist mein Kind wohl gesund? Was für ein Leben wird es haben? Ganz gewiß wird Maria schon geahnt haben, daß dieses Leben, das ihren Sohn erwartet, kein Spaziergang sein kann. Besonders wenn es doch von ihm heißt: Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Wird es da denn ohne Gegengewalt, ohne Widerstand und Verfolgung abgehen? Und wir, wenn wir diese Worte hören: Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskin- der. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Können wir wohl anders, als eben auch an die wahrhaft großen Dinge denken, die Gott durch und mit dem Mann tun wird, der einmal aus diesem Kind werden soll? Und können wir dabei die schrecklichen, die angstvollen Dinge ausklammern, die Not in Gethsemane und den Jammer auf Golgatha? - Nein, wir können es nicht! Und da frage ich mich jetzt - obwohl alles schon auf die Weihnachtsfreude ausgerichtet ist, die von den Geschäften und Kaufhäusern ja seit Wochen vorbereitet wird - ob wir wohl immer zu ober- flächlich gedacht und geschaut haben, wenn wir von "großer Freude" gesprochen und gesungen ha- ben? Und haben wir wohl nicht auch einen Vers falsch und zu oberflächlich verstanden, wie er der Wochenspruch dieses 4. Adventssonntags ist: "Freuet euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: Freuet euch. Der Herr ist nahe." Gewiß ist diese kurze Freude über das Kind in der Krippe verständlich! Wir brauchen auch einmal einen frohen, einen schönen Tag und ein heiteres, leichtes Fest. Und was als ein kleines Kind und all die wunderbaren Züge der Weihnachtsgeschichte eignete sich besser dafür? Und doch: Wenn wir dabei stehen bleiben, ist das nicht wirklich viel zu wenig? Denn geht es - auch an Weihnachten! - nicht viel mehr um das, was später aus dem Kind Jesus wird: Der Heiland, der Mensch, der uns Gott ganz neu und anders bekannt macht, der Mann am Kreuz, das Opfer für die Sünde der Welt...? Ja hätten wir, wenn es nicht diesen Ausgang der Geschichte Gottes mit der Welt und seinen Men- schen gäbe, im Stall und an der Krippe des Kindes irgend etwas zu feiern? Und da hinkt jetzt der Vergleich mit dem Kind und dem Bollerwagen: Denn der Wagen wird wirk- lich zerbrechen und unbrauchbar werden. Und dann wird das Kind wirklich Grund zum Weinen und Traurigsein haben. Unser Herr aber vollbringt gerade und erst im Zerbrechen am Kreuz unsere Heilung, unsere Rettung von allem Bösen, von Sünde Tod und Teufel und er macht erst da das Tor zum Leben für uns auf, zum erfüllten Leben hier und einmal in der Ewigkeit. - Dort liegt der Grund unserer Freude! - und nicht in der Erwartung einer Mutter auf die Geburt ihres Kindes, nicht im Stall von Bethlehem und nicht in der Krippe oder im Lobgesang der Engel. Da ist nur der Anfang. Dort ist der Ausgangspunkt, nur der Keim der Freude, die am Kreuz erst im Sieg und dem Triumpf über Sünde und Tod die schönsten Früchte reift. Da erst ist unsere Freude vollkommen! Liebe Gemeinde, nein, wir wollen uns die Freude über Weihnachten, die Freude an allem, was zu diesem wunderbaren Fest gehört, nicht verderben lassen. Wir wollen uns wie Maria an dem Kind freuen, das in einem Stall zur Welt kommt und in eine Krippe gelegt wird. Wir wollen mit ihr ein- stimmen in die Worte: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes... Und auch die Freude über die eher äußerlichen Dinge des Festes soll uns nicht zu nie- drig oder zu gering sein: Das Schenken und Beschenktwerden, die milden Tage mit ihrem Kerzen- schein und den freundlichen Gedanken füreinander, das gute Essen, die schönen alten Lieder, der Baum und die strahlenden Augen unserer Kinder und Enkel... Aber wir wollen auch darüber hinaus kommen und bis zu dem schauen, was am Ende aus diesem Anfang wird: Ein Mann am Kreuz, der für uns sein Leben gibt, der uns frei macht von Sünde und Tod und unser Heil vollbringt. Das Kind als es an den Bollerwagen denkt, der ja doch einmal zerbricht und kaputtgeht, muß weinen. Unsere Freude wird im Zerbrechen des Mannes am Holz erst vollkommen.