"Wen interessieren schon die Kirchengemeinden?" Kleine Zwischenbilanz der neuen Pfarrstellenbemessung – Teil 2 Mal ehrlich: Wer von den geneigten Leserinnen und Lesern des 1. Teils dieser Zwischenbilanz hat es gemerkt? Da werden in einem Dekanat 1.5 Pfarrstellen abgebaut – aber von den betroffenen Kirchengemeinden war bisher mit keinem Wort die Rede! Nein, das war kein Versehen. Kirchengemeinden spielen im konkreten Vollzug der neuen Pfarrstellenbemessung eine eher untergeordnete Rolle, ähnlich der von Statisten, die vielleicht einmal im Hintergrund eines Dramas kurz die Bühne überqueren... Wohlgemerkt: Die Kirchengemeinde, der gegenwärtig gültigen Kirchenordnung nach der Souverän der Pfarrstellenbesetzung und in unserer „Gemeindekirche" die wichtigste Bezugsgröße allen kirchlichen Handelns ist damit faktisch um ihre Mitwirkung an der Bemessung „ihrer" Pfarrstelle gebracht. Sie hat keinerlei Einfluss auf die Besetzung und die Besetzbarkeit ihrer Stelle. – Das glauben Sie nicht? Dann wollen wir noch einmal in unser Beispiel-Dekanat schauen, in dem sich inzwischen die KollegInnen aus dem Dekanat zusammengesetzt haben, deren Gemeinden nach Bewertung durch die von oben vorgegebenen Bemessungskriterien zuerst für die nötige Operation geeignet erscheinen: Die Aufgabe war: Noch in diesem Jahr müssen von 19,5 besetzten Pfarrstellen 1,5 abgebaut werden, sonst gibt es keine Wiederbesetzung vakant werdender Stellen im Dekanat. Es haben sich 5,5 PfarrerInnen versammelt, die für einen scharfen Schnitt in Frage kommen. Sie – und eben nicht die Kirchenvorstände der von ihnen vertretenen Kirchengemeinden! – müssen die Aufgabe lösen, den Sollstellenplan des Dekanats zu bereinigen. Und dieser Auftrag ist – auch ohne Mitwirkung von KirchenvorsteherInnen – schwierig genug! Wir denken uns, es würde jetzt von den KollegInnen – natürlich mit dem ehrlichen Bemühen um strengste Objektivität! - eine Lösung versucht werden, in drei 0,5-Stellenteilen unter den anwesenden 5,5 Kollegen die insgesamt nötigen 1,5 Stellen zu gewinnen: Teil A: Ein Kollege, Inhaber einer vollen Pfarrstelle, wird nach dem Stand seiner chronischen Erkrankung gefragt und ob er sich nicht vorstellen könnte, sich in den Wartestand zu verabschieden. (Gewinn nach Halbierung der verwaisten Pfarrstelle, die mit Sicherheit nie mehr besetzt werden kann: 0,5) Teil B: Einem leicht über 60jährigen Kollegen, der eine halbe Pfarrstelle innehat, wird ausgemalt, wie schön doch ein nur „unbedeutend nach vorn gezogener" Ruhestand sein könnte, wenn er seinen „hoffentlich langen Lebensabend" mit der großen, dauerhaften Freude versüßen darf, den in „harten Zeiten im schweren Amt" verbleibenden „Amtsgeschwistern" einen so unschätzbaren Dienst erwiesen zu haben. (Gewinn nach Auflösung der verlassenen Pfarrstelle: 0,5) Teil C: Eine Pfarrerin auf voller Stelle wird erinnert, dass sie bei Amtsantritt vor acht Jahren schon verkündet hätte, sie wolle nur sieben Jahre im Dekanat bleiben und dann noch einmal wechseln (- wobei die Frage unangesprochen bleibt, wohin sie denn in der gegenwärtigen Situation des Ist-Stellenmangels in den meisten Dekanaten gehen soll? (Gewinn nach Halbierung der zu verlassenden Pfarrstelle – als halbe Stelle ebenfalls nicht mehr besetzbar: 0,5) Klar ist: Die ja nur rechnerisch wegfallenden Pfarrstellenteile verursachen zunächst weiter die selbe Arbeit wie vorher! Diese muß von den verbleibenden vier KollegInnen mit übernommen werden. Da die KollegInnen allerdings schon ihre vollen Pfarrstellen und darin die gerade noch zu leistende Gemeindearbeit haben und sich gewiß nicht um Mehrarbeit reißen werden, machen die durch die Eingriffe betroffenen Kirchengemeinden zweifellos schon bald viel weniger Arbeit und werden nach Siechtum und geistlichem Exitus einfach zu handhabende „Versorgungs"-fälle sein. Wir wollen der Zusammenkunft der noch 5,5 KollegInnen jetzt nicht länger beiwohnen. Man kann sich auch denken, dass es nach und nach auch ernster zugehen und die ja nur gespielte Objektivität der Damen und Herrn einem verzweifelten Aufbäumen unter Zuhilfenahme von stimmlichen Ressourcen und möglicherweise vorgetäuschten Ohnmachten weichen wird. Es ging uns ja auch nur darum zu zeigen, dass in der Praxis der neuen Pfarrstellenbemessung die Kirchengemeinde keinerlei Mitwirkung im Vollzug der Umverteilung der Stellen, bzw. bei der Erhaltung oder Zerstörung von gemeindlichem Leben in den seit Jahrhunderten gewachsenen Kirchengemeinden hat. Das gilt, gleich ob eine Gemeinde lebendig ist oder inaktiv, gleich ob sie übergemeindlich wichtige Aufgaben in der Region wahrnimmt, gleich ob sie ein Pfarrhaus vorhält und traditionell an das Vorhandensein eines Pfarrers im Ort gewöhnt ist. Entscheidend für Ergebnisse und Folgen dieser Pfarrstellenbemessung in den Dekanaten ist allein die Frage: Welcher Kollege, welche Kollegin mit welchem Gebrechen oder welcher Behinderung, welchem Lebensalter, welcher Sprachfähigkeit und Durchsetzungskraft, welcher Aggressivität oder welchem irenischen Naturell sitzt in der Stunde der Not der Gemeinden gerade auf welcher Pfarrstelle und ist bereit und fähig sie zu verteidigen und zu halten oder gibt sie nonchalant lächelnd und mit lässiger Geste für immer preis. – Die neue Pfarrstellenbemessung hat so eigentlich viel von einer Pfarrerbemessung. Wir sehen: Die Gemeinde, der Souverän nach der Kirchenordnung, bleibt außen vor. Lebendigkeit und Aktivität von Gemeinden, die Kirchentreue ihrer Mitglieder, ihre Bedürftigkeit nach Seelsorge und den Impulsen durch eine Pfarrerin, einen Pfarrer sind keine Größen mehr, die irgendwie in die Bemessung einfließen. Endlich wird Gemeinde auch aus der Ferne hantierbar. End-lich! N.N.