Vorwort zur Neuauflage Zwischen- und Schlussbilanz der neuen Pfarrstellenbemessung Mit diesem Postscriptum schloss die Schlussbilanz zur Pfarrstellenbemessung, die N.N. vor etwa drei Jahren (im Mai 2003) geschrieben hat: P.S: Für eine weiterführende Dokumentation der Folgen von Strukturreform und Pfarrstellenbemessung bitte ich um Übersendung von Erfahrungsberichten an diese Adresse: eichendorf@dike.de Dabei sind Erfahrungsberichte aus möglichst vielen unterschiedlichen Landeskirchen der EKD interessant! Heute kann man sagen, der Inhalt dieser Bilanzierung hatte damals – wie man heute sieht – geradezu prophetischen Charakter: Manches, was zur Zeit der Abfassung noch nicht – zumal von den Protagonisten der unseligen Reform – gesehen, geschweige denn in die Planung einbezogen wurde, ist wie vorhergesagt eingetroffen. Manches in noch viel schlimmerem Maß als befürchtet. Was das damalige Postscriptum angeht, sind bei N.N. zahlreiche „Erfahrungsberichte“ eingegangen, meist in Form eines Anrufs oder im Rahmen eines persönlichen Gesprächs. So ergibt sich in einigen Landeskirchen der EKD, die im Rahmen einer „Strukturreform“ meinten, die Rolle der Gemeinden innerhalb der Kirche schwächen und die des Gemeindepfarrers / der Gemeindepfarrerin zu der von bloßen Dienstleistern verändern zu müssen, dasselbe düstere Bild, wie es in der „Schlussbilanz“ an den drei Begriffen „Qualität“, „Motivation“ und „Begegnung“ in prophetischer Schau vorweggenommen worden ist. (Dies kann auf der Zeitfragen-Seite unter „Schlussbilanz – Danach aber das Ende“ nachgelesen und muss hier nicht wiederholt werden.) Über alle in den vier „Bilanzen“ vom Mai 2003 beschriebenen zu erwarteten (und eingetroffenen!) Folgen der Strukturreform und der Pfarrstellenbemessung in einigen Gliedkirchen der EKD hinaus, muss festgestellt bzw. beklagt werden: In den Pfarrschaften: - zunehmende Entsolidarisierung (die es sicher schon immer, aber weniger ausgeprägt gegeben hat!), Mangel an Kollegialität, dem Berufsbild „Pfarrer“ früherer Zeit wenig entsprechender Einsatz der Ellenbogen und von daher steigende Isolation der Kolleginnen und Kollegen in den „eigenen Gemeinden“ sowie ein überdimensional gewachsenes Interesse an einem Wechsel in eine übergemeindliche Pfarrstelle - Frustration und Resignation verbunden mit schwindender Freude am Beruf und am kaum noch zu bewältigenden Dienst in einer Kirchengemeinde neuen Gemeindegliederzuschnitts - hoher Krankenstand wegen psychosomatischen Störungen, Depressionen bis hin zur Infragestellung der Vereinbarkeit des gegenwärtig wegen Überbelastung und falscher Gewichtung zu leistenden Dienstes mit den eigenen Zielen etwa in Gemeindeaufbau und Seelsorge In den Gemeinden: - zunehmende Entfremdung von einer Kirche, die immer mehr zur Event- und Grundversorgungskirche verkommt und den Menschen, besonders auf dem Land, durch Stellenhalbierung und -streichung die Seelsorger, Verkündiger des Evangeliums, Berater und Ansprechpartner in allen Lebensfragen (und sich selbst damit auch die Repräsentanten und Profilträger in den Gemeinden) nimmt - Unverständnis für zahlreiche neue Angebote, Veranstaltungen und Maßnahmen der Kirche wie den Bau von „Häusern der Kirche“ in für die Gemeindeglieder unerreichbarer Entfernung, Einrichtung von Handlungszentren ausschließlich in nicht zentral gelegenen urbanen Gebieten, Konzerte, Events und den Bau von Jugendkirchen, von denen nur die im Einzugsgebiet wohnenden Interessenten bzw. Jugendlichen etwas haben - das Gefühl als Gemeinde vor Ort – wiederum besonders auf dem Land! - uninteressant und von der Kirchenleitung abgeschrieben zu sein - dazu im steigenden Maß die schmerzliche Erfahrung, von der eigenen Pfarrerin oder dem Pfarrer verraten worden zu sein, wenn diese kampflos der Halbierung oder Streichung der Stelle zustimmen und sich auf eine andere – oft genug auch noch übergemeindliche – Stelle bewerben Bei den Inhabern von Fach- und Profilstellen: - oftmals großer Frust wegen der meist zu späten Erkenntnis, dass die angetretene übergemeindliche Stelle z.B. in der Öffentlichkeits- oder Ökumenearbeit zwar von der KL und dem jeweiligen Dekanat (DSV) ausgeschrieben, nicht aber in den Gemeinden vor Ort irgendwie eingebunden oder auch nur gewollt ist - zwar meist wesentlich geringere dienstliche Belastung als im Gemeindepfarramt, dafür aber gewaltige Rechtfertigungsprobleme vor der eigenen inneren Instanz, eine Stelle inne zu haben, die eigentlich keiner braucht und deren Ertrag man selbst als gering einschätzt - Ärger über das schlechte Ansehen bei den KollegInnen im Gemeindepfarramt, von denen sie oft für Faulenzer gehalten werden, die auch oft nicht bereit sind, den Übergemeindlichen zuzuarbeiten bzw. ihre Dienste für ihre Gemeinden anzufordern In den Dekanaten und sonstigen kirchenleitenden Organen: - die Überzeugung, die sich mehr und mehr in das Denken und Handeln einschleicht, das Gemeindepfarramt sei ein „Auslaufmodell“ (ein EKD- Kirchenpräsident) und Gemeinde (mit allem, was sie nach der Kirchenordnung ausmacht) fände man auch im Arbeitsbereich aller möglichen übergemeindlichen Dienste - die Meinung, auch in der Kirche müsste mit pekuniären Anreizen ein Karrieredenken installiert werden, wie es etwa in einem Wirtschaftsunternehmen angetroffen wird und es wäre dringend an der Zeit auch für „PfarrerInnen Aufstiegsmöglichkeiten in der Kirche zu schaffen“ (ein EKD-Kirchenpräsident) - steigende Bereitschaft karrierewilliger KollegInnen der Kirchenleitung gefällige Entscheidungen zu treffen und sich dafür einzusetzen (etwa für die Fusion von Dekanaten oder den Zusammenschluss von Gemeinden) nur um eines eigenen kirchlichen Aufstiegs und (oft genug) des eigenen Geldbeutels willen - steigende Entfremdung von der kirchlichen Basis (der Gemeinde!) und ihrer Sorgen und dem, was sie kirchenordnungsgemäß von ihrer Kirche erwarten darf, nämlich nicht nur kasuale Grundversorgung, sondern persönliche Zuwendung und Betreuung in Seelsorge und Verkündigung, aufbauender und helfender Gemeindearbeit und die entsprechende personelle Ausstattung des Gemeindepfarramts Manfred Günther, im März 2006