Das Diskussionspapier „Perspektiven des Pfarrberufs“ wurde an die Pfarrämter der EKHN gesandt und soll in Pfarrkonventen und in den Propsteien diskutiert werden. Die von Christoph Bergner, Michael Heymel, Burhard Hotz und Dieter Keim aus je unterschiedlichen theologischen und ekklesiologischen Blickwinkeln verfassten vier Thesenreihen wollen eine Hilfe zur Beurteilung des Diskussionspapiers und der darin entwickelten Perspektiven des Pfarrberufs sein. Ich halte sie für sehr erhellend und möchte sie den Kolleginnen und Kollegen – nicht nur in der EKHN – zur Lektüre empfehlen! Manfred Günther ___________________________________________________ Vier Thesenreihen zum Diskussionspapier „Perspektiven des Pfarrberufs“ Das Papier wird bestimmt von der Absicht, die umfassende Strukturreform, deren wichtigstes Merkmal bisher die Schaffung der „Mittleren Ebene“ ist, zu begründen und weiterzuentwickeln. Dabei werden die klassischen Aufgaben des Pfarrberufs einer soziologisch orientierten Neubewertung unterzogen. Die Bedeutung von Gemeinde und Gemeindepfarrdienst wird soweit nivelliert, dass alle möglichen anderen „Sozialgestalten“ von Kirche eine ähnliche Aufgabe haben bzw. übernehmen können. Die Folge ist eine höchst diffuse Begrifflichkeit, die ihre Bedeutung nur noch durch entsprechende Beschlüsse von Kirchenleitung und Synode gewinnen kann. Die folgenden Thesenreihen verdeutlichen die theologischen Defizite des Diskussionspapiers an den vier thematischen Schwerpunkten „Pfarramt“, „Verkündigung“, „Gottesdienst“ und „Gemeinde“. I. Thesen zum „Pfarramt“ im Diskussionspapier Perspektiven des Pfarrberufs 1. Den Schlüssel zum Verständnis des Diskussionspapiers zum Pfarrberuf liefert dankenswerterweise schon der zweite Satz in der Einleitung. „In ihren Strukturen und in den Inhalten kirchlichen Handelns reagiert sie (die EKHN) auf die Veränderungen in der Gesellschaft und treibt so immer neue Reformprozesse im Innern voran.“(4) Vier Folgerungen sind unumgänglich: - Der Maßstab für die Bedeutung und die Aufgaben des Pfarramts wird soziologisch erhoben. - Die Gesellschaft verändert sich ständig, deshalb muss auch der Pfarrberuf den veränderten Bedingungen ständig angepasst werden. - Es ist Aufgabe der EKHN, also ihrer Leitungsgremien, den jeweiligen Zustand der Gesellschaft zu bestimmen und daraus die notwendigen Folgerungen für die Organisation und die Inhalte des pastoralen Dienstes zu ziehen. - Die Theologie hat keine kirchenleitende Funktion mehr. Sie ist ein wichtiges Element neben anderen. So wie ein Chemiekonzern nicht ohne Chemiker auskommt, braucht eine Kirche auch Theologen. Aber die Konzernzentrale/die Kirchenleitung entscheidet nach Marktanalyse, was getan wird. 2. Da die soziologische Analyse eine Differenzierung der Gesellschaft feststellt, muß auch das Pfarramt differenziert werden: „Die Vielfalt der Formen des Pfarrdienstes hängt unmittelbar mit der Vielfalt der Sozialgestalten von Kirche zusammen.“(14) Eine normative Bedeutung des parochialen Dienstes wird deshalb nicht mehr festgestellt. 3. Als Specificum des Pfarramtes wird „die religiöse Dimension“ ausgemacht (16). Sie besteht in der „Kommunikation des Evangeliums mit den Mitteln von Wort und Sakrament in Gottesdienst, Seelsorge und religiöser Bildung.“ Die klassisch gewordene Trias von Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge wird im Zusammenhang der gesellschaftlichen Erfordernisse je neu gedeutet. Was auf den ersten Blick als Klärung erscheint, ist jedoch höchst unklar. Das Spezifische des Pfarrdienstes ist so allgemein, dass es nicht mehr abgrenzbar ist. Das liegt allerdings auch in der Voraussetzung seiner Bestimmbarkeit. Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge lassen sich in allen „Sozialgestalten“ des Pfarramtes irgendwie antreffen und beschreiben. 4. Die Dynamik der Gesellschaft, wie sie im Diskussionspapier zugrunde gelegt wird, verhindert starre Festlegungen. Sie können nur Momentaufnahmen eines Prozesses sein. Wie dieser Prozess jeweils beschrieben wird, welche Antwort jeweils die richtige ist, müssen Kirchenleitung und Synode klären. Zeitlich befristete Dienstaufträge, die Auflösung eines engen Bezuges von Pfarramt und Ortsgemeinde, Effizienzbetrachtungen, Evaluationen und soziologische Erhebungen, die die Bedeutung der Arbeit ermitteln und bestätigen, sind die Steuerungsinstrumente für die langfristig gelingende Leitung von Kirche. Synode und Kirchenleitung erhalten eine neue Kompetenz. Um die nötigen Klärungsprozesse durchzuführen, wird sich die innerkirchliche Selbstbeschäftigung vermehren. 5. Pfarrerinnen und Pfarrer sind „in die Strukturen der Kirche als Organisation einbezogen und haben die im synodalen Prozess legitimierten Ordnungen loyal zu achten.“(45) Freilich, die neue Macht von Kirchenleitung und Synode kann und will nicht vollmächtig wirken, sondern nur „reagieren“. Ein Pfarramt, das bevollmächtigt ist, kann es strukturell nicht mehr geben. „Solange man auf die Empirie starrt, kann man keine Vollmacht gewinnen.“ (Trowitzsch) Man will es auch gar nicht mehr. 6. Es liegt in der Logik der Argumentation, die Spiritualität des pastoralen Lebens „jeweils persönlich angemessen zu suchen und einzuüben.“ Auch hier gibt es keine Ordnungen, denn die geistliche Existenz des Pfarrers und der Pfarrerin „entzieht sich jeder Normierung“. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft spiegelt sich noch einmal im geistlichen Leben der Pfarrerinnen und Pfarrer wider. 7. Die neuen Strukturen „sind mit Leben zu erfüllen“ (S.43). Nicht das Leben schafft sich Strukturen, sondern die Struktur schafft das Leben. Die Struktur wird durch Kirchenbeamte und Synodale ersonnen. Der magister verbi divini, das Amt des Wortes, das Fleisch geworden ist und gerade so Leben und Wahrheit mit sich bringt, ist abgeschafft. Christoph Bergner II. Thesen zum Verständnis von Verkündigung im Diskussionspapier „Perspektiven des Pfarrberufs“ 1. Seit Ernst Lange ist es üblich geworden, statt von Verkündigung von „Kommunikation des Evangeliums“ zu sprechen. In der EKHN hat man, wie bereits in ‚Person und Institution’, nun auch in dem Diskussionspapier über ‚Perspektiven des Pfarrberufs’ den Begriff von Lange aufgenommen. Mit Bezug auf CA V wird behauptet, das Predigtamt sei „ein von Gott gegebenes ‚Mittel’ zur Kommunikation des Evangeliums“ (S.11). 2. Diese Kommunikation wird weit gefasst. Das Pfarramt, so heißt es, sei „nicht das einzige Amt der Kirche“, auch andere Ämter dienten der Kommunikation des Evangeliums. Sie geschieht nach Ansicht der Verfasser auch durch Musizieren, durch die Arbeit in Gruppen und Projekten, durch helfende Zuwendung oder verantwortliches Entscheiden (vgl. S.13 Anm.1). Später heißt es, für alle Pfarrdienste (gemeint sind parochiale und regionale bzw. funktionale Dienste) sei der Auftrag maßgebend, „das Evangelium mit den Mitteln Wort und Sakrament in Gottesdienst, Seelsorge und religiöser Bildung zu kommunizieren“ (S.16). Schließlich erfährt der Begriff der Kommunikation des Evangeliums noch einmal eine Ausweitung, wenn austauschweise auch von „religiöser Kommunikation“ (S.20) gesprochen wird. 3. Hier wird, ähnlich wie schon bei Lange, die Predigt zu einem Teil und einer Phase innerhalb eines umfassenderen und im Prinzip unabschließbaren Kommunikationsprozesses gemacht. Das Evangelium kann durch ganz unterschiedliche Mittel und Wege kommuniziert werden. Alles und jedes kann zur Kommunikation des Evangeliums erklärt werden, sofern dabei nur religiös kommuniziert wird. 4. Verkündigung meint aber von Hause aus etwas anderes als Kommunikation. Das Diskussionspapier lässt leider völlig im Unklaren, wie diese Kategorie verstanden wird. Es bietet auch keinen Ansatz, sie zur biblisch-theologischen Kategorie der Verkündigung in ein Verhältnis zu setzen. So kann nur vermutet werden, dass ‚Kommunikation’ hier allgemein den Austausch von Informationen zwischen dynamischen Systemen bezeichnet. Damit wird von vornherein die Lebensbeziehung zwischen Prediger und Hörer auf Informationsaustausch reduziert. Ernst Langes Formel erlaubt es, in diesem weiten, aber inhaltlich völlig entleerten Sinn von ‚Kommunikation des Evangeliums’ zu sprechen. Lange seinerseits operiert zwar mit einem gefüllten Begriff von Predigt, hat aber homiletischen Ansätzen den Weg gebahnt, die die Predigt nur noch als „um wirksame Kommunikation bemühte menschliche Rede“ (Lange) betrachten. 5. In CA V werden ‚verkündigen’ und ‚lehren’ als Synonyme behandelt. Verkündigung des Evangeliums erfordert Lehre, das Predigtamt wird bestimmt als ministerium docendi evangelii. Davon ist im Diskussionspapier nicht die Rede. Zwar wird gesagt, dass im Pfarrberuf Leitung durch Lehre ausgeübt wird, doch fehlen nähere Bestimmungen dafür, was eigentlich ‚Lehre’ ist. Demgegenüber besteht nach CA V die Lehre des Evangeliums (S.11 Anm.3) darin, „dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, wenn wir das glauben“ (vgl. CA IV). 6. Es ist keineswegs von vornherein ausgemacht, dass überall, wo jemand in der Kirche etwas kommuniziert, schon das Evangelium verkündigt wird. Vielmehr bedarf es immer neu der Prüfung des Verkündigten an der Lehre. Die Formel „Kommunikation des Evangeliums“ wird dagegen so gebraucht, als ob es sich von selbst verstünde, dass alle das Evangelium verkündigen. Nicht jede Form von Öffentlichkeitsarbeit, nicht jede Debatte im Kirchenvorstand oder einer Synode ist Verkündigung des Evangeliums! 7. Verkündigung ist nach reformatorischem Verständnis ein Wirklichkeit schaffendes Sprachgeschehen: wenn in Vollmacht gepredigt wird, geschieht, was gepredigt wird. Dazu haben die Reformatoren das Pfarramt gestärkt. Darum haben sie auf die ordnungsgemäße Berufung Wert gelegt, kraft deren das Predigtamt zum Aufbau der Gemeinde ausgeübt wird. Ohne geistlich gestärkte, ihres Verkündigungsauftrags gewisse Pfarrerinnen und Pfarrer keine Wahrnehmung des Priestertums aller Getauften! 8. Ein wesentliches Kriterium für evangelisches Predigen ist Apostolizität, d.h. die Frage, ob diejenigen, die das Evangelium predigen, auch der apostolischen Verkündigung entsprechen und dem Evangelium gemäß in verbindlicher Gemeinschaft mit ihren Hörern leben. Ein Prediger oder eine Predigerin im apostolischen Sinn ist jemand, der oder die Worte nicht nur vorsagt, sondern vorlebt. Eine apostolische Kirche existiert nur dort, wo Verkündigung das Leben des Verkündigers einbegreift und auf ‚Gemeinschaft am Evangelium’ (koinonía to euangélion: Phil 1,5) ausgerichtet ist. Nur eine apostolische Kirche, die ihre Predigt lebt, wird auch mit ihrer Predigt Menschen dazu bewegen, im Einklang mit dem Evangelium zu leben. In der CA bilden deshalb Art. V (Vom Predigtamt), Art. VI (Vom neuen Gehorsam) und Art. VII (Von der Kirche) eine unzertrennliche Einheit. Im Diskussionspapier kommt dieser Zusammenhang nirgendwo in den Blick. 9. These 4 des Diskussionspapiers hält eine „Konzentration auf die genuin pastoralen Aufgaben im ‚Pfarramt’ [für] notwendig, um die Chancen der öffentlichen Kommunikation des Evangeliums wahrnehmen zu können“ (S.43). Dieser These ist zuzustimmen. Sie lässt sich aber nur überzeugend vertreten, wenn begriffen wird, dass Pfarrerinnen und Pfarrer als Personen in ihrer ganzen Existenz Botschafterinnen und Botschafter des Evangeliums sind. Als solche sind sie auf eine tragende Gemeinschaft angewiesen, innerhalb deren sie kraft ihrer geistlich-theologischen Existenz ihre Aufgaben wahrnehmen (vgl. Sein Licht leuchten lassen. Zur Erneuerung von Gemeinde und Pfarrerschaft, Neukirchen 1988, 68). Michael Heymel III. Thesen zum „Gottesdienst“ zum Diskussionspapier: Perspektiven des Pfarrberufs 1. Der Gottesdienst als Versammlungsort, an dem Gottes Wort schriftgemäß verkündigt und die Sakramente stiftungsgemäß ausgeteilt werden, ist die Begründung und Bestätigung der christlichen Gemeinde. Dort geschieht sie grundlegend. Dieser Gottesdienst hat in der sich lokal organisierenden Gemeinde in der sonntäglichen Wiederkehr seine stabile Normalform. Diese verlässliche sonntägliche Regelmäßigkeit ist gemeindebildend. In der Leitung und Ausrichtung dieses Gemeindegottesdienstes, für den die öffentliche Verkündigung des Wortes Gottes konstitutiv ist, findet sich das Paradigma des Pfarrdienstes. 2. Der sonntägliche Gottesdienst, der der Gemeinde ihrer Identität gibt, indem sie Jesus Christus, dem HERRN der Kirche, die Ehre gibt, verliert in dem Diskussionspapier jede normative Bedeutung und wird aufgelöst in eine Vielfalt gleichberechtigter Sozialgestalten von Gottesdienst auf allen kirchlichen Ebenen. 3. Verkündigung wird durch die pauschale Kategorie „Kommunikation des Evangeliums“ ersetzt. Der Gottesdienst wird als funktionales „Mittel“ der professionellen Kommunikation des Pfarrdienstes beschrieben. Damit wird der gemeindebildende Sonntagsgottesdienst der lokal verfassten Gemeinde der Beliebigkeit preisgegeben. Damit wird natürlich auch der elementare Bezug des Pfarrberufs zum sonntäglichen Gemeindegottesdienst aufgegeben. Die Diener des Wortes werden zu Funktionären einer Institution. 4. „Die Gemeinden haben wieder zu lernen, dass der sonntägliche Gottesdienst im Mittelpunkt des Gemeindelebens steht.“ Wie erfrischend deutlich benennt dieser Satz der Barmer Synode von 1934 zur praktischen Arbeit der Gemeinden das gottesdienstliche Zentrum der Gemeinde. Hier ist die theologische Aussage sehr wohl zur sozialen Konkretion in der Lage. Dieser Satz bedarf heute der Aktualisierung: „Kirchenleitung und Synode haben wieder zu lernen, dass der sonntägliche Gottesdienst im Mittelpunkt des Gemeindelebens steht!“ 5. Im Gegensatz zum Synodenwort von Barmen erscheinen im Diskussionspapier der Kirchleitung die theologischen Aussagen vielfach gerade dazu zu dienen, jede konkrete Form in die Gleichgültig zu heben. Da es keine theologisch-normative Aussage mit Gestaltungscharakter mehr gibt, bekommen die theologischen Beschreibungen etwas Unspezifisches und verlieren jedes Profil. 6. Dies zeigt das Diskussionspapier besonders anschaulich auf Seite 15: Mit Recht wird der Versammlungsgottesdienst mit Wortverkündigung und Austeilung der Sakramente als gemeindebildend beschrieben. Im gleichen Atemzug wird diese theologische Argumentation jedoch gegen den Normalfall des lokal geordneten sonntäglichen Gemeindegottesdienstes gewendet. 7. „Entscheidend ist deshalb die Frage, wie die Leistungsfähigkeit der Sozialgestalten von Kirche“ und Gottesdienst „in ihrer Wirkung eingeschätzt wird, in dieser Gesellschaft Gemeinde zu ermöglichen“ S. 15. Dieser Satz beschreibt das ganze Dilemma des Papiers. Da es keine praktisch-theologische Beschreibung von Gemeinde und Gottesdienst mit normativem Charakter gibt, wird die Leistungsfähigkeit der Sozialgestalt von Kirche und Gottesdienst von irgendwelchen soziologischen Vorgaben bestimmt. 8. Die Ev. Kirche betreibt mit großem öffentlichem Aufwand Aktionen zum Schutz des Sonntags. Wer aber schützt den Sonntag besser als der Regelfall des parochialen sonntäglichen Gemeindegottesdienstes? Eine generelle Gestaltungs-Gleichberechtigung aller „Evangeliumskommunikationen“ egal wann, egal wo, egal mit wem fördert den weiteren Abbau von Kirche und Gemeinde und damit den Bedeutungsverlust des Christentums in unserer Gesellschaft. Dagegen gilt es mit BARMEN eindeutig die theologisch-praktische Priorität des sonntäglichen Gemeindegottesdienstes herauszustellen. Burkard Hotz IV.Thesen zu „Perspektiven des Pfarrberufs“ - das Gemeindebild 1. Das Diskussionspapier stellt bei der Bestimmung der Gemeinde CA VII in den Mittelpunkt. Dadurch wird deutlich, dass der Gottesdienst das Zentrum von Kirche und Gemeinde ist (11). Gemeinde ist nach CA VII im geistlichen Sinne von den Organisationsformen von Kirche zu unterscheiden: diese sind daran zu messen, ob sie dazu beitragen, dass Gemeinde im geistlich- theologischen Sinne funktioniert (12). Parochie, Dekanat, Synoden und Verwaltung: sie sind (hoffentlich) Instrumente für die congregatio sanctorum. Das sind erfrischende und klärende Aussagen. 2. Nimmt man CA VII ernst, dann wird deutlich, dass die Gemeinde ihre wesentlichen Eigenschaften von Gott her erhält: ihre Einheit, Heiligkeit und Allgemeinheit über die Zeiten hinweg sind Gottes Werk. Die Gemeinde Christi ist die „Gemeinde begnadigter Sünder“ und hat sich nicht selbst im Griff. Was sie hat, hat sie empfangen. Was sie vorweisen kann (ihre „Leistungen“), hat sie nicht selbst geleistet. 3. Gemeinde ist als Gemeinde ein qualitativer, kein quantitativer Begriff. Der Gottesdienst richtet sich an alles Volk (quantitativer, zählbarer Aspekt), ob und wie darin Gott sich gegenwärtig macht, ist ein qualitativer Begriff. Die Qualität ist das Entscheidende. Wie klein auch die Zahl derer ist, die sich versammeln: die Versammlung ist im Vollsinn Gemeinde, ubi et quando visum est Deo. 4. Geht man mit dem Papier von CA VII aus, dann wird man sagen müssen, dass es nicht um irgendwelche Kommunikation des Evangeliums gehen kann: Es geht nicht um Zuhörer, Leser oder ein Publikum eines irgendwie gearteten Angebotes. Es geht um eine öffentliche Versammlung, die allein dadurch qualifiziert ist, dass ihr Gottes Wort geschieht. 5. Der Rekurs auf CA VII irritiert aber. Geht es doch offenbar im Diskussionspapier darum, gerade nichtparochiale kirchliche Handlungsfelder als den parochialen Arbeitsfeldern ekklesiologisch mindestens ebenbürtig zu erweisen. Ein Gemeindeverständnis, das vornehmlich die Parochie als Gemeinde ansieht, sei eine Reduktion und Verkürzung und so weiter und immerfort. 6. Die Irritation besteht schlicht darin: es ist nicht gerade das Proprium der Arbeit von Profilstellen der Mittleren Ebenen, das Publikum in Gottesdiensten zu versammeln (zumal diese Profilstellen sehr oft als Fachstellen mit Nichttheologen besetzt sind). In welchem Sinne und mit welchem Recht kann man dann sagen: diese Zusammenkünfte sind im Sinne der CA „Gemeindebildung an neuen Orten“ (18)? 7. Mit dieser Frage soll die Möglichkeit nicht prinzipell verneint werden, dass in den Handlungsfeldern der Mittleren Ebene „Kirche“, bzw. „Gemeinde“ im Sinne der CA VII geschehen kann. Allein: die Handlungsfelder der Mittleren Ebene sind von sich aus nicht konstitutiv für Kirche und Gemeinde. Eine Versammlung zu sozialpolitischen Themen wie Hartz IV ist Bestandteil des (aus meiner Sicht begrüßenswerten und notwendigen) diakonischen kirchlichen Handelns, aber eben noch keine congregatio sanctorum Sinne der CA VII. 8. Die Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit von Gottesdiensten wird in der normalen Gemeinde am Ort, in der Parochie, gewährleistet. Sie scheint im Normalfall der Normalfall von Gemeinde zu sein. 9. Demgegenüber ist die Beziehung der Handlungsfelder der Mittleren Ebene zum Gottesdienst ungeregelt, unregelmäßig, kasuell, situations- und oft zielgruppenbezogen (in einem anderen Zusammenhang würde hier wohl von „Milieuverengung“ gesprochen werden). 10. Nun ist CA VII sozusagen eine Minimalbestimmung, die es nicht darauf anlegt, die Gemeinde in all ihren – zumal empirischen – Aspekten zu beschreiben. Das kann und soll hier auch nicht geschehen. Aber ein systematischer Hinweis: Im Sinne von Barmen III. ist die Gemeinde als Subjekt des Zeugnisses ganz ernst zu nehmen. An ihr muss man „sehen, schmecken und riechen“ können, was das für ein Gott ist, der in Gottesdiensten gefeiert wird und im „Alltag der Welt“ bezeugt wird. Der letzte Punkt würde hinüberleiten zu auch und gerade in der weiteren Öffentlichkeit wahrnehmbaren „notae ecclesiae“: ein „Gottesdienst im Alltag der Welt“ mit Unterricht, Seelsorge, religiöse Bildung, Zielgruppenarbeit usf. 11. Die Frage ist, ob die Mittlere Ebene nicht auf falsche (und unnötige) Weise theologisch aufgewertet wird. Die Frage ist, ob die Gemeindekonstituierung im klassischen und ernsten Sinne von CA VII überhaupt ihre vorrangige Sache sein kann. Ob man ihr nicht gerechter wird, wenn man sie theologisch jenem „vernünftigen Gottesdienst“ nach Röm 12 zuordnet, von woher ihre Handlungsfelder genug Gewicht und Würde im Blick auf den Zeugendienst von Kirche bekommen. Man würde auch gar nicht in jene Konkurrenzsituation kommen, wie sie S. 19 beschrieben sind. Man würde vielmehr theologisch sauber differenzieren. 12. Der Gemeindebegriff wird völlig abstrakt, wenn er (zusammen mit dem zunehmend mehrdeutigen Begriff „Kommunikation des Evangeliums“) auf alle möglichen unter kirchlicher Flagge anberaumten Treffen und Termine verwendet wird oder werden sollte. Das, was sich Menschen in Zukunft unter Gemeinde vorstellen sollen, wird beliebig, verliert Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit, gerät auf die Seite eines Angebots am religiösen Markt. Gemeinde wird zu Zusammenkünften der langen Wege, situations- und interessenbezogen, und es wird systematisch in die Architektur eingebaut, was man der Parochie immer und immer wieder gerne vorhält: Milieuverengung. Eine segmentierte Gesellschaft – euphemistisch „pluralistisch“ genannt – bekommt ihre segmentierten religiösen Angebote. Das Ganze gerät aus dem Blick, wenn man diese zufälligen, vorübergehenden Gebilde „Gemeinde Jesu Christi“ nennt. Solche Treffen mögen (und sollen!) gelingen – aber Kirche (so hat etwa Bonhoeffer oft betont) ist noch einmal etwas anderes als eine mehr oder weniger religiös gestimmte Gemeinschaft mit mehr oder weniger gehobenen Seelenstimmungen. Menschliche Sympathiegemeinschaften sind etwas schönes – aber nicht Gemeinde im Sinne von CA VII. 13. Schließlich scheint die Bedeutung der Gemeinde auf die Funktion des Pfarrers/der Pfarrerin verlagert zu werden. Deren/dessen Rolle muss profiliert werden, ihm/ihr obliegen „Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung zwischen den … Sozialgestalten“ (S.19). Hier – in ihrer Rolle - geschieht „Spezialisierung und Profilierung“ (aaO.). Kein Zufall dürfte es denn auch sein, dass das Paper statt von den verschiedenen Sozialgestalten der Gemeinde von „unterschiedlichen Sozialgestalten des Pfarrdienstes“ sprechen kann (S.14). Die Gemeinde wird vom Funktionsträger her verstanden. Klerikalisierung hätte man das vor nicht allzu langer Zeit genannt. Heute nennt man das wohl „Professionalisierung“. Auftritt: religiöse homo faber …. Dieter Keim