Kirchengemeinden sind die Hauptverlierer in der gegenwärtigen Spardiskussion - Kirchengemeinden haben keine absolute Priorität mehr in der EKHN - Umverteilung der Ressourcen von unten nach oben hält weiterhin an - Kirche als letzte Institution auf den Dörfern verabschiedet sich - Gemeinden werden überproportional hart getroffen Das in diesen Tagen vorgelegte sechzigseitige Sparkonzept der EKHN (Drucksache Nr. 65/03) geht vorrangig zu Lasten der Kirchengemeinden: (1) Gemeinde hat keine Priorität mehr in der EKHN In der Beschreibung der Ausgangslage (S. 1+2) findet die Kirchengemeinde in der Liste der Prioritäten keine Erwähnung. Statt dessen werden die fünf Handlungsfelder „Verkündigung", „Seelsorge", „Bildung", „Gesellschaftliche Verantwortung" und „Ökumene" als konstitutiv für die Kirche dargestellt. Außerdem hält man noch die Querschnittsbereiche „Öffentlichkeitsarbeit", „Fortbildung" und „Organisationsentwicklung" für zwingend notwendig. Entsprechend wendet sich die Kirchenleitung ausdrücklich gegen die immer wieder vorgetragene Meinung, dass die Gemeindepfarrstellen eine absolute Priorität gegenüber den Funktions- und den neuen Profilpfarrstellen hätten. Dagegen sei erwiesen, dass konzentrierte, exemplarische Angebote in einzelnen Regionen eine höhere Wirkung hätten als eine flächendeckende Verteilung. Fazit: Das vorgelegte Sparkonzept geht im Grundsatz davon aus, dass Kirche nicht mehr durch Gemeinde konstituiert wird, sondern mindestens ebenso gut - und oft sogar effektiver - durch überregionale Dienste veranstaltet werden kann. Diese ekklesiologische Grundentscheidung, wonach die Gemeinde als kirchliches Handlungsfeld unter vielen rangiert, hat in den vorgelegten Sparvorschlägen deutlichen Niederschlag gefunden. - Die EKHN soll sich von der Gemeindekirche zur Kirche der regionalen Veranstaltungen wandeln. (2) Umverteilung des Geldes von unten nach oben Die veröffentlichten Zahlen (S. 3+4) zeigen, dass die erheblichen Investitionsmaßnahmen auf der „mittleren" und „oberen" Ebene unserer Kirche nun durch Sparmaßnahmen an der „unteren" Ebene finanziert werden sollen. Die Fehlbeträge im Haushalt der EKHN betrugen im Jahr 2002 ca. 15,3 Mio. EURO und im Jahr 2003 rechnet man mit Mindereinnahmen von 15 Mio. EURO. Dem steht gegenüber, dass im Jahr 2002 bereits 25 Mio. EURO und für das Jahr 2003 noch einmal 45 Mio. EURO für Investitionen in die verschiedenen Reformprojekte der EKHN (Strukturreform, mittlere Ebene, Regionalverwaltungen etc.) ausgegeben werden. Fazit: Wer behauptet, dass die EKHN nicht mehr genügend Geld für die pastorale Versorgung, finanzielle Ausstattung und Gebäudeunterhaltung der Gemeinden hat, der darf nicht verschweigen, dass auf mittleren und höchsten Ebenen unserer Kirche zur Zeit in noch nie da gewesenem Maße investiert wird. Die einmal als bitter notwendige Sparmaßnahme vom Zaun gebrochene Umstrukturierung der EKHN ist in Wahrheit das Teuerste, was sich die EKHN je geleistet hat. Sie verursacht neben einem massiven Verbrauch an Rücklagen außerdem dauerhafte Mehrausgaben, die im Bereich der Gemeinden dann nicht mehr zur Verfügung stehen. - Für eine Kirche, in der die Gemeinden keine Priorität mehr haben, ist ein solches Vorgehen natürlich konsequent. (3) Die Kirche als letzte Institution auf den Dörfern verabschiedet sich Insgesamt soll es den über 300 Dorfgemeinden, die weniger als 500 Gemeindeglieder zählen, an den Kragen (S. 11+12) gehen. Sie sollen ihre Eigenständigkeit aufgeben und mit anderen Gemeinden zu größeren Zusammenschlüssen fusionieren. Der Einsparungseffekt basiert vor allem auf den dann nicht mehr auszuzahlenden Sockelbeträgen (Verwaltung und Personal) in den Schlüsselzuweisungen für die Gemeinden. Die ohnehin schon schwierig zu finanzierenden geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse für Küster, Organisten und Reinigungspersonal werden dann nahezu unmöglich. Ein kirchliches Leben in den Dörfern wird kaum noch organisierbar sein. Dazu kommt die beabsichtigte noch schnellere Einsparung von Gemeindepfarrstellen (S. 7), die eine pfarramtliche Versorgung der Dörfer zusätzlich erschweren wird. Die immer größer werdende Anzahl von Dörfern, die durch ein Pfarramt versorgt werden, erschweren nicht nur den Dienst des jeweiligen Pfarrers, sondern erschweren auch die Besetzung der jeweiligen Stelle im Falle einer Vakanz. - Auch die Reduktion von Gemeindepädagogen und Kirchenmusikern (S. 8) wird dazu führen, dass eine Präsenz solcher kirchlichen Mitarbeiter in den Dörfern nicht mehr stattfinden kann, sondern nur noch an manchen Kristallisationspunkten kirchlichen Lebens anzutreffen ist. Besonders hart trifft es die alten und kranken Menschen im Dorf, wenn die Zuschüsse für die Diakoniestationen (S. 13) weiter reduziert werden. Im ländlichen Bereich ist es für Diakoniestationen wegen der oft weiten Strecken und der geringeren Personalvernetzung kaum möglich, kostendeckend zu arbeiten. Die ambulanten Pflegedienste sind aber in der Regel die einzigen Hilfeeinrichtungen für ältere Menschen im ländlichen Raum. Familien mit Kindern, behinderte, kranke, ältere und arme Menschen verfügen nicht über das Maß an Mobilität, das zur Teilnahme an einem überregional strukturierten kirchlichen Leben notwendig ist. Hinzu kommt die wesentlich schlechtere Infrastruktur auf dem Lande. Fazit: Die Kirche zieht sich aus dem Leben im Dorf zurück. Künstliche überregionale Strukturen werden die gewachsenen dörflichen Strukturen nicht ersetzen können, wie sich das bei ähnlich gelagerten Konzentrationsprozessen immer wieder gezeigt hat. - Das „Ausbluten" der Dörfer geht in eine neue Runde und zu Lasten der Schwachen. (4) Gemeinden werden überproportional hart von den Sparmaßnahmen getroffen Die strukturellen Maßnahmen zur Finanzeinsparung (S. 51) haben ein Gesamtvolumen von 13,105 Mio. EURO, davon werden die Gemeinden und die dort Diensttuenden mit 8,50 Mio. EURO betroffen. Zum Vergleich dazu: Die gesamtkirchlichen Einrichtungen und Handlungsfelder (S. 52) werden nur 6,906 Mio. EURO einsparen müssen. Die „mittlere" Ebene wird mit gar keinen Sparmaßnahmen bedacht. - In der Vergangenheit (siehe Sparmaßnahmen Mitte der 90er Jahre) haben die Gemeinden ihre Sparbeiträge sehr konsequent erfüllt, während die gesamtkirchlichen Ausgaben nicht ihr Sparziel erreichten. Ähnlich war die Tendenz bei den Personalstellen. Verschärfend zu den harten Einschnitten in den Gemeinden kommt hinzu, dass sie mit einem hohen Stand an Vakanzen zu kämpfen haben, während überregionale Dienste dieses Problem kaum kennen. Gemeinden leisten durch den Verzicht auf ihre Pfarrer einen ständigen und hohen Sparbeitrag. Diese schwierige Situation wird sich noch weiter verschärfen, ohne dass mittelfristig Entspannung absehbar wäre. Fazit: Die Gemeinden haben personell und finanziell längst die Grenze ihrer Sparmöglichkeiten überschritten. Wir brauchen dringend eine Entlastung der Gemeinden durch Reduktion der übergemeindlichen, kirchenverwaltenden und kirchenleitenden Dienste. - Die Last des gegenwärtigen Sparzwangs muss auf gesamtkirchlicher Ebene getragen werden und nicht von den Gemeinden. Pfr. Siegfried Schmidt