Rede von Pfarrer Peter Boucsein (Montabaur) auf der Synode der EKHN (Mittwoch 4.12.02) Liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie mich mit einer persönlichen Erklärung beginnen: Ich empfinde heterosexuell, bin aber keineswegs homophob. Und das ist gut so. Ich kenne eine ganze Reihe homosexuell empfindender Menschen, und habe einige Zeit in einer größeren Wohngemeinschaft mit einem homosexuellen Mann zusammen gewohnt. Wir haben über Gott und die Welt geredet, miteinander gesungen und gebetet. Auch diesen konkreten, liebenswerten Menschen habe ich vor Augen, wenn ich hier mit guten Gründen mein Votum gegen die vom LGA vorgeschlagene Art von Segnung formuliere. Aber ich muß es tun, mein an der Bibel geschultes Gewissen drängt mich dazu. Ich hoffe, Sie spüren mir mein Ringen ab und auch ein Stück Demut. Ich möchte nun zwei grundlegende Anfragen formulieren. Die erste ist kirchenpolitischer Natur, die zweite ist wichtiger: nämlich theologisch. Wenn ich die Aufgeregtheit betrachte, mit der zur Zeit im protestantischen Deutschland die geistliche Begleitung homosexuell empfindender Frauen und Männer gefordert wird, dann könnte man meinen, sie alle ständen Schlange, um endlich ihre Partnerschaft eintragen zu lassen und anschließend den kirchlichen Segen zu empfangen. De facto sind es aber recht wenige, die bislang von dem neuen Rechtsinstitut der eingetragenen Partnerschaft Gebrauch machen. Und vor den Kirchentüren steht da, wo sie offen sind, fast niemand. Im Rheinland ist seit Januar 2000 eine, wie es heißt, „ gottesdienstliche Begleitung, die keine Kasualie ist" möglich. Nun haben ganze 12 Personen, also 6 Partnergemeinschaften dies bis zum heutigen Tag in Anspruch genommen. Bei einer Kirche, die rund 3 Millionen Mitglieder hat, sind das – selbst wenn es fünf mal so viele wären - nicht mehr als 0,002 Prozent (oder 0,02 Promille) aller Getauften. Wenn man also wenig vitalen Bedarf feststellen kann – im übrigen auch in den nordeuropäischen Ländern – dann müssen es noch andere Gründe sein, mit denen das „Produkt Segnung" beworben wird. Es gibt Menschen, die damit gesellschaftspolitische Interessen verbinden. Aber dann anscheinend – wie die Erfahrungen im Rheinland zeigen - wenn das „Produkt" auf dem Markt ist, es doch nicht in Anspruch nehmen. Die Erfahrungen im Rheinland zeigen es: Sie wollen den gesellschaftspolitischen Segen der Kirche, aber dann doch nicht den Segen in der Kirche. Nun frage ich Sie, Bruder Steinacker: Gibt es Ihnen nicht zu denken, wenn Ihr rheinischer Kollege, der Ratsvorsitzende Kock, vor etwa einem Jahr öffentlich zu Protokoll gibt, seine Kirche sei zumindest phasenweise – wörtlich: „instrumentalisiert" worden? Nun mein theologischer Einspruch: Daß der in der gebotenen Kürze sehr knapp möglich ist, bitte ich zu verzeihen. Ich könnte auch anders. Erstens: Es ist mehr als nur befremdlich , wenn die Autoren des Papiers ausgerechnet die Barmer Theologische Erklärung bemühen. Was war denn das Anliegen 1934? Mit der Kraft der Bibel gegen den Zeitgeist zu argumentieren! Sie machen es umgekehrt: Sie argumentieren mit dem Zeitgeist gegen die Bibel! Barmen wird auf den Kopf gestellt. Eine fatale Verdrehung! Zweitens: Es ist nach allem , was auch Sie in zahlreichen Publikationen haben lesen können, exegetisch unhaltbar zu behaupten, „homosexuelles Verhalten sei in der Bibel ausschließlich als Element des religiös Fremden und Bedrohlichen gesehen worden", oder es seien partnerschaftliche Verbindungen nicht im Blick gewesen! In Wahrheit gab es dies im ersten Jahrhundert natürlich genauso oft oder selten gab wie auch heute. Drittens: Es hat fast antijudaistischen Charakter, wenn Sie mit dem Argument, man müsse von der Mitte der Schrift her interpretieren, die „Mitte der Schrift" gegen die Schöpfungstheologie des Alten Testamentes, gegen die Thora, gegen die im Alten Testament wurzelnde Verkündigung Jesu und gegen den Apostel Paulus ausspielen und sagen: Alles nur Zeitgeist. Die haben sich alle geirrt. Noch keinen Durchblick gehabt. Die waren möglicherweise auch in homophoben Gefühlen befangen. Aber: Wir haben den Heiligen Geist. Und deshalb können wir reden wie Jesus: Ihr wisst, was zu den Alten gesagt ist – wir aber vom LGA sagen euch.... Viertens: Es ist höchst fragwürdig, Luthers Formulierung „was Christum treibet" so auslegen, als ob sich alles, was von Jesus Christus und seiner Lehre zu sagen ist, auf ein abstraktes Liebesgebot ohne konkrete materiale Ethik reduzieren ließe. Wir können doch -zum Beispiel- die Bergpredigt nicht einfach links liegen lassen! Fünftens: Es ist zu fragen: Wieviel ist der Hessen-Nassauischen Kirchenleitung die Einheit mit der Ökumene wert ? Und die Einheit mit der EKD ? Was uns Synodalen in der Drucksache 102 vorgelegt wurde, wird weder von der Schrift „Mit Spannungen leben", noch von der Orientierungshilfe vom September diesen Jahres gedeckt. Sechstens: Es ist eine andere Art von Diskriminierung, daß an keiner Stelle der Drucksache 102 erwähnt wird, daß es auch Menschen gibt, deren homoerotische Orientierung sich durch säkulare Therapie oder christliche Seelsorge gewandelt hat. Es ist auch nicht recht zu verschweigen, daß der wissenschaftliche Diskussionsprozess um Homosexualität im Fluß ist und manche Position von betroffenen Forschern selbst revidiert wird. So z.B. Professor Robert Spitzer in den U.S.A. So klar und eindeutig i s t vieles gar nicht! Siebtens und zur gesellschaftsdiakonischen Verantwortung unserer Kirche: Ich frage Sie, meine Damen und Herren vom LGA: Wissen Sie nicht, daß mit Ihrem Votum das Ansehen der Volkskirche und auch ihre geistliche Autorität weiter sinkt? Daß nach Ihrem Votum erst recht gespottet werden darf, z.B. in der säkularen Presse: „Die Kirche kuschelt sich mit Anbiederung ins Abseits!"? Sie kennen doch die neuesten Umfragen von EMNID. Platz 18. Kirche auf dem letzten Platz. Lassen Sie es sehr zugespitzt formulieren: Für mich ist die EKHN eine bunte Volkskirche, in unserem Logo gibt es viele Farben, nicht nur rot und grün! Sie sollten auch nicht übersehen, daß das Bundesverfassungsgericht mit der denkbar knappsten Senats-Mehrheit von 5 gegen 3 Stimmen das sog. „Lebenspartnerschaftsgesetz" gebilligt hat. Es gab bedenkenswerte Sondervoten der überstimmten Richter. Ich frage noch einmal: Läßt dies alles in Ihnen nicht wenigstens einen leisen Zweifel an der Richtigkeit Ihrer kirchenpolitischen Strategie aufkommen? Somit zum Schluß: Was steht für uns – als Kirche - auf dem Spiel, hohe Synode? Nicht weniger als die Frage, ob wir als evangelische Kirche - als „Kirche des Wortes" - unsere eigenen Grundlagen, nämlich Schrift und Bekenntnis, im 3. Jahrtausend noch ernst nehmen wollen. Natürlich können wir sagen: Alles Schnee von gestern, wir wissen es heute besser, wir schreiben die Bibel neu, wir klinken uns aus der Ökumene aus, wir machen eine Religionsorganisation auf und segnen alles und alle. So wird es in der Drucksache ja in Aussicht gestellt. Aber dann kann ich nur sagen: Herr, erbarme dich. Ich danke für Ihr Zuhören.