Hat unsere Kirche ein Kommunikationsproblem?

Eine kurze Antwort auf eine seit langem gestellte Frage mit einer längeren Urteils-Begründung

von Manfred Günther

Die Tatsache, liebe Leserin, lieber Leser, dass Sie von diesem Artikel jetzt fast schon einen halben Satz gelesen haben, bezeugt entweder Ihr Interesse für schriftliche Absonderungen des oben genannten Autors oder aber die Tatsache, dass Ihnen die im Titel gestellte Frage auch schon begegnet und möglicherweise groß geworden ist und Sie hier eine Antwort erwarten. Wobei - zumindest mit diesem Artikel - schon ein Stücklein Kommunikation hergestellt wäre.

Ich will Sie auch gar nicht lange auf die Folter spannen, vielmehr eine wie versprochen kurze und klare Antwort geben, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass jeder geneigte Leser mit „unsere Kirche" gern die seine assoziieren darf. (So haben wir es ja auch mit dem spannenden Bericht des 2. Vorsitzenden des bayerischen Pfarrervereins gehalten, den wir in der Januarausgabe des Deutschen Pfarrerblatts haben lesen können. Dieser Vortrag war es, der mich hier noch einen Schritt weiter als Dr. Hermann Ruttmann gehen lässt: Ich habe hier nun gleich gar nicht mehr den Namen der EKD-Kirche genannt, in der ich 25 Jahre Dienst getan und die hier verarbeiteten Erfahrungen habe machen können. Warum denn auch: Wie wir spätestens seit Hermann Ruttmanns Bericht wissen, gehen unsere EKD-Kirchen - und eben nicht nur bei ihren „Reformen", sondern auch in Sachen „Kommunikationskultur" - unbeirrt, Lemmingen gleich alle den selben Weg, wobei mal die eine, mal die andere die Führung übernimmt. Das Ziel dürfte - wenn wir uns an der Basis der Kirchen nur diszipliniert genug zurückhalten - für alle auch das selbe sein.)

Und jetzt antworte ich:

Nein! Unsere Kirche hat kein Kommunikationsproblem!

Mag sein, dieser klar negative Bescheid überrascht Sie!? Sie haben - Ihren eigenen Erfahrungen mit Ihrer Landeskirche nach - eine andere Auskunft erwartet? Dann möchten Sie jetzt sicher weiterlesen und hören, wie der Autor dazu kommt, das für Sie möglicherweise offenkundige und leidvoll erfahrene Kommunikationsproblem in unserer, bzw. Ihrer Kirche zu leugnen? - Damit ist der zweite Schritt der Kommunikation - wenigstens zwischen Ihnen und mir - gelungen und wir können in die nähere Erörterung unseres Themas eintreten.

Gehen wir einmal ein Vierteljahrhundert zurück in der Kommunikationsgeschichte unserer Kirche:

In unseren Pfarrämtern gab es selbstverständlich schon Telefon, in der Landeskirchenhauptstadt gar eine Telefonanlage, mit der wir manchmal mit einem einzigen Anruf ganz schön in unserer Kirchenzentrale herumkamen - natürlich nur, weil wir nicht am allgemeinen Sprechtag angerufen hatten! Vereinzelt konnten sich die Haushalte mancher Stadtgemeinden schon die damals noch recht teuren Faxgeräte der ersten Generation leisten, bei denen nach jedem zweiten Anläuten entweder das Papier oder der Toner ausging und wir Anrufer dann doch den Postweg wählen mussten. Ansonsten waren wir in diesen kommunikationstechnisch finsteren Zeiten noch auf Besuche beieinander, zeitaufwändige Dienstgespräche und für die Vorbereitung etwa eines gemeinsamen Gottesdienstes mit Austausch der dazugehörigen Texte auf ein persönliches Treffen aller Beteiligten angewiesen. Was neben dem großen Zeitbedarf auch noch mindestens zwei unangenehme Begleiterscheinungen mit sich brachte: Als Besuchter mussten wir den Kollegen einen gewissen Einblick ins Privatleben oder die eigene Dienstgestaltung geben und als Besucher die Peinlichkeit erdulden, meist zur Unzeit vorgesprochen zu haben und selbst dann, wenn wir einen Termin hatten, das Gefühl niederkämpfen, eigentlich nicht willkommen zu sein und möglichst bald wieder das fühlbar fremde Terrain verlassen zu sollen.

Wie ist das heute dagegen doch so schön mit dem Kommunizieren!

ISDN schenkt uns mit einem Blick aufs Display und mittels Knopfdruck die Möglichkeit, den Anrufer abzulehnen oder auf den AB (AB = Anrufbeseitiger) umzuleiten. Die Faxgeräte unserer Tage empfangen brav oder sind gar mittels Software papierlos in die PC-Anlage integriert. Die Pfarrämter im Land hängen fast ohne Ausnahme im weltweiten Netz, was sich einige Kirchen einen Haufen Geld für Zuschussmittel haben kosten lassen! Selbst lange verwaiste und nach den jeweils gültigen Pfarrstellenbemessungskriterien wohl schwerlich wieder besetzbare Landgemeinden haben einen ungenutzten Breitbandanschluss und könnten mit 768 MBit/s miteinander in Kontakt treten, wenn sie personell könnten. Sogar kirchengemeindliche KindergärtnerInnen lassen ihre Kleinen auf den Wiesen der Internetpräsentation ihrer Landeskirche oder der EKD-Allmende spielen. Superintendenten, Bischöfe, Oberkirchenräte und was es sonst noch alles an hohen und übergemeindlichen Kirchenämtern gibt, haben die Möglichkeit, sich in die (hoffentlich kirchenkritikfreien!) Internetpräsentationen kleiner Landpfarrer einzuklinken. Die Pröpste und die sonstigen Vorsteher von Kirchenkreisen, die LeiterInnen der Kirchenverwaltungen und all die vielen andere kirchliche Würdenträger oberhalb A14 besitzen eine Emailadresse und sind damit potentiell erreichbar! Und wenn in einigen Jahren gar in allen Landeskirchen die Segnungen eines kirchlichen Intranets voll durchschlagen, werden wir im Kommunikationsparadies sein und sagen dürfen: Wir sind dabei gewesen, als jeder mit jedem in einer demokratischen Kirche der Kommunikation auf gleicher Ohrenhöhe miteinander sprechen konnte! Also: Die Möglichkeiten zur Kommunikation waren noch nie so gut wie heute! Niemand kann sagen, wir hätten ein Kommunikationsproblem! -

Woran liegt es dann aber, dass uns dieser Befund doch so befremdet?

Warum wird - um es deutlich auszusprechen - in dieser Zeit, in der virtuell jeder in der Kirche mit jedem auf einige Weise in nur Sekunden in Beziehung treten kann, faktisch immer weniger Verbindung aufgenommen? Noch deutlicher: Warum gibt es untereinander auf der Ebene der Dekanate oder Kirchenkreise, der Propsteien bzw. Intendenturen, und schon gar zwischen dem Oben und dem Unten unserer Kirchen immer weniger Begegnung und Austausch? Warum kommt es immer seltener zu geschwisterlichen Gesprächen und der damit verbundenen Klärung der möglicherweise gestörten Verhältnisse? Warum gibt es stattdessen ohne vorherigen oder begleitenden Kontakt auf einem „kurzen Weg" vermehrt von oben nur abzuarbeitende Statistikbögen, Anordnungen, Durchführungsbestimmungen, Dienstanweisungen, dienstaufsichtliche Maßnahmen und manchmal sogar Vorladungen, die allesamt meist auf Einbahnstraßen zu uns Basisarbeitern gelangen? Es wäre doch so einfach: Man greift zum Telefonhörer und wählt eine Nummer aus dem kirchlichen Anschriftenverzeichnis. Dann fragt man: „Sagen Sie mal, was soll denn dieser offene Brief an mich auf Ihren Internetseiten?" Oder man übermittelt auch einmal etwas Nettes: „Die Kunde von Ihrer geplanten Gemeindebefragung zur Homosegnung ist bis zu mir gedrungen! Das scheint mir ein vernünftiger Weg, endlich auch einmal die Meinung der einfachen Gemeindeglieder zu eruieren!"

Nun gut, wenn man's lieber schriftlich und traditionell mag, schreibt man zunächst eine Email und kündigt darin vielleicht noch den gerade geschriebenen Text ein zweites Mal als Brief auf dem Dienstweg an, der in der Kirche der Gegenwart zweifellos noch am häufigsten begangenen Römerstraße des Kommunikationszeitalters. Aber warum denn nicht, wenn ansonsten auch noch andere, kürzere Wege hin und her führen! - Das aber ist nicht der Fall. Darum noch einmal: Warum wird - trotz zahlreicher leicht zu handhabender Möglichkeiten - in unserer Kirche nicht mehr kommuniziert?

Es hat mit dem Interesse zu tun, vielmehr mit dem Mangel an demselben!

Und da tut sich nun neben dem eigentlichen ein weiteres Problem auf: Wie lässt sich der schlichte Mangel an Interesse an den anderen Menschen, die in der selben Kirche arbeiten, in ein aussagekräftiges Wort fassen, wie es „Kommunikationsproblem" eines ist? „Interessensproblem"? - ist wenig klar und wirkt konstruiert und fad. „Geschwister- lichkeitsproblem"? - kann nach langen Jahren ohne erlebte Beispiele für den entsprechenden Umgang miteinander heute sicher - namentlich unter jüngeren Kollegen - wenig erhellen, ja, der Begriff könnte hier - wie andere mehrsilbige unbekannte Wörter mit Stolpergefahr - unangemessene Heiterkeit auslösen, während er bei den älteren nur zu fruchtlosen nostalgischen Betrachtungen über eine verlorene Zeit Anlass geben wird.

Bleiben wir also dabei und erklären wir es näher:

Kommunikation kommt in unseren Tagen in unserer Kirche nicht mehr oder nur noch marginal zustande, weil in unserer Kirche kein oder ein nicht ausreichendes Interesse mehr aneinander besteht.

Schauen wir zuerst nach dem Verhältnis von oben nach unten:

Nein, der Oberkirchenrat, die Sachbearbeiterin in der Personalabteilung interessieren sich nicht wirklich dafür, was der KV-Vorsitzende aus der kleinen Landgemeinde in irgend einem deutschen Mittelgebirge über die Not der wegen Halbierung nach der gültigen Pfarrstellenbemessung schon so lange vakanten Gemeinde und ihrer Glieder zu erzählen hätte. Deshalb wird er ein solches Gespräch nach Kräften vermeiden, abwimmeln und schon gar nicht von sich aus suchen! - Aber es müsste ihm als Glied der Kirche Jesu Christi doch daran gelegen sein, zu erfahren warum und woran andere Glieder leiden!

Und das Mitglied der Kirchenleitung, oder wie die Führung der Landeskirche sonst heißen mag, will es nicht nachempfinden, in welche Verzweiflung es einen an pietistische Bibelauslegung gebundenen Pfarrer bringt, wenn der sich von einer Sitzung seiner Landessynode auf die andere unvermittelt in der Lage sieht, einer Kirche anzugehören und ihr ordinationsgemäß dienen zu sollen, die eine für ihn vor der Bibel nicht zu verantwortende Segnung von homosexuellen Partnerschaften befürwortet und durchführt. Das Mitglied der Kirchenleitung wird also einem persönlichen Kontakt mit besagtem Pfarrer so lange es möglich ist aus dem Wege gehen und eventuell übersandte Emails oder Briefe ignorieren und nur auf den Druck durch „offene Briefe" oder Artikel in der Presse reagieren. - Wenn wir allerdings in unserer Kirche Geschwister wären, dann sollten wir auch ein paar elektronische oder briefliche Zeilen beantworten und so zeigen, dass wir mit dem Bruder fühlen und der Schwester mitleiden können.

Und die Leitungen der Kirche in ihrer Gesamtheit hätten noch das erste Mal unter Beweis zu stellen, dass sie, soweit es die in den letzten Jahren nach dem Mc Kinsey-Evangelium durchgezogenen Strukturreformen angeht, bereit (gewesen) sind, auf die Ergebnisse der von ihr oft groß angelegten Konsultationen mit untergeordneten Ebenen oder auf schwer wiegende Bedenken, Einsprüche oder Warnungen von der gemeindlichen Basis der jeweiligen Landeskirche zu hören.

Selbst jetzt, nachdem einige Ernüchterung in den Chefetagen der Landeskirchen von Hallig Hooge bis Garmisch eingezogen ist und sich (viel zu) langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass eine Kirche doch nicht wie ein Industrieunternehmen geführt werden kann und die Reformen horrende Finanzmittel gefressen, den Kirchen und besonders ihren Gemeinden nicht genützt, dafür aber den jetzt enormen Sparzwang gezeitigt haben, mag sich keiner besinnen, umkehren und zurückrudern. (Oder wer hätte sich auf die oben erwähnte Veröffentlichung von Hermann Ruttmann im Deutschen Pfarrerblatt hin, oder nach dem Vortrag von Christian Nürnberger beim 34. Rhein. Pfarrerinnen- und Pfarrertag vom 3. November 2003, „Warum Mc Kinsey für die Kirche keine Lösung ist", wie es nötig und in der gegenwärtigen Passionszeit passend gewesen wäre, in Sack und Asche gekleidet und den Seligpreisungen der Unternehmensberater endgültig abgeschworen?)

Die Profiteure der in letzter Zeit in einigen Landeskirchen beschlossenen Höher-Alimentierungen der Stellen in Leitung und Verwaltung, die von ihren Inhabern angeblich höhere Kompetenz verlangen und ihnen eine größere Verantwortung aufbürden als etwa ein Gemeindepfarramt, werden nicht auf die berechtigten Klagen ihrer kirchlichen Basis hören. Und sie werden ihre Ohren und Herzen gegen den Protest zahlreicher Leserbriefschreiber in den Zeitungen und gegen die Empörung der Pfarrerinnen und Pfarrer und der anderen kirchlichen GehaltsempfängerInnen verschließen, denen in ihrer Kirche nicht weniger Verantwortung und Kompetenz eignet, die nur nicht so nah an ihrer Landessynode sind, der Institution, die hiermit die Scheidung in Gleiche und Gleichere zementiert hat.
Am Rande: Welcher Bischof, Propst oder Oberkirchenrat hat denn wirklich schon für erwiesene Inkompetenz „Verantwortung" übernehmen müssen? Das äußerste, was ihm passieren kann, ist doch erfahrungsgemäß der berühmte Goldene Handschlag. Jedenfalls dürfte es unter Schwestern und Brüdern in der Kirche Jesu Christi weder eine solche ungleiche Bezahlung geben, noch hinterher das Verschließen der Ohren und das uneinsichtige Beharren darauf - gegen die Klage ungezählter Schwestern und Brüder und vor allem gegen die klare Weisung der Bibel (- und meist auch der Kirchenordnung!) an der Maßnahme festzuhalten.

Und die Landessynodalen schließlich möchten es meist gar nicht wissen, was aus ihren Beschlüssen in der praktischen Umsetzung werden kann. Sie sind - in einer Synode, in deren letzter Sitzung nach sechs Jahren vielleicht noch jeder zweite sein Mandat vom Anfang wahr nimmt - ziemlich beschäftigt damit, den Anschluss an die Diskussion zu finden, deren Beginn und Ursache sie oft nicht mitgekriegt haben. Außerdem müssen sie sich häufig zu eilig in Gesetze einarbeiten, deren 3. Lesung ansteht, während ihnen die Zusammenhänge unklar bleiben, waren sie doch als Nachrücker im Amt bisher bei keiner oder erst bei einer Synodaltagung dabei. Wen also kann es wundern, wenn die Synode immer wieder - gegen zahlreiche warnende, oft zurecht geradezu beschwörende Einwände von weiter blickenden Mitgliedern des hohen Gremiums am Ende doch mehrheitlich das beschließt, was die in aller Unsicherheit und allem Entscheidungsdruck immer noch mit der höchsten Autorität ausgestattete Kirchenleitung (oder -verwaltung) zu beschließen vorgeschlagen hat? - Aber die Synodalen müssten doch Bescheid und um die Tragweite ihrer Entscheidungen wissen, denn sie haben die höchste Verantwortung in der Kirche und an dem, was sie beschließen, entscheidet sich Ansehen und der zukünftige Einfluss der Kirche und der christlichen Werte in einer sich mehr und mehr verweltlichenden Gesellschaft.

Aber kommen wir nun zum "Interesse" im Verhältnis von unten nach oben:

Da bin ich schon am Ende, bevor ich angefangen habe! Denn hier ist die Sache eindeutig: Es kann von den Pfarrerinnen und Pfarrern an der gemeindlichen Basis niemand (mehr) erwarten, sie brächten ein ehrliches Interesse oder gar eine Haltung innerer Anteilnahme an denen auf, die in einem Amt oberhalb der Gemeindeebene sitzen. Dazu gehen die Verletzungen zu tief, die den KollegInnen im allein kirchentragenden Gemeindepfarramt seit Jahren beigebracht wurden. Dazu gab es zu viele - auch öffentliche - Äußerungen von Verantwortlichen in der Kirche, die ihnen suggeriert haben, ihre Arbeit sei nicht wertvoll, nur teuer und die PfarrerInnen wären von daher eigentlich nur noch geduldet. Daneben wurden den GemeindepfarrerInnen im Rahmen der Strukturreformen zu große Lasten (z.B. strukturelle Vakanzen) aufgebürdet, immer größere finanzielle Opfer von ihnen verlangt und die von ihnen betreuten Gemeinden, das die Kirche tragende Fundament, mit zu vielen grundstürzenden Entscheidungen geschwächt. Ja, vergessen wir es nicht: Sie, die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Gemeinden sind es, die letztlich die Brötchen aller in der Kirche verdienen - auch derer, die in ihr ungerechtfertigt ein höheres Gehalt bekommen. Eine durchaus belegbare Tatsache übrigens, denn gewiss weit über 90 % aller kirchlichen Kontakte von Mitgliedern der Landeskirchen mit irgend einem kirchlichen Dienst oder Angebot sind solche zwischen dem Glied einer Kirchengemeinde und seiner Pfarrerin, seinem Pfarrer! (Dem Einwand, die Kirche erscheine doch auch in den Medien, z.B. in Zeitungskolumnen und Fernsehgottesdiensten, entgegne ich: Es geht um persönliche Kontakte, Beziehungen von Mensch zu Mensch, wie sie nur da entstehen können, wo Christen unter dem Dach ihres Gemeindehauses oder ihrer Kirche vor Ort zusammenkommen, gemeinsam hören, miteinander sprechen und beten.) Hier nun gar noch so etwas wie Geschwisterlichkeit an der Kirchenbasis einzuklagen, kommt der Forderung an das Lamm gleich, seinen Scherer herzlich zu lieben.

Die Pfarrerinnen und Pfarrer, die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und die Gemeindeglieder, die - wenn sie Glück hatten - in noch einigermaßen intakten Gemeinden ihren gottgefälligen Dienst tun und gegen alle ihnen auferlegten Hindernisse noch geschwisterlich zusammen arbeiten können, haben in ihrem Verhältnis nach oben in den letzten Jahren meist kämpfen und oft verlieren müssen. Ihre Einstellung ist daher inzwischen gekennzeichnet von einer Haltung der Abwehr, der Verteidigung und der Resignation: Es gilt zu verhindern, dass die von oben verordneten Maßnahmen und Mehrbelastungen allzu großen Schaden in den Gemeinden anrichten. In vielen Fällen allerdings stehen die Arbeiter an der Basis heute vor dem Aus: Ihre Gemeinden wurden ganz gestrichen, halbiert und häufig in Dauervakanz ausgehungert. PfarrerInnen mussten auf andere, sie ernährende (volle) Stellen wechseln, sind erkrankt und/oder haben die Flucht in den vorzeitigen Ruhestand angetreten. Ehrenamtliche sind entmutigt und frustriert, KirchenvorsteherInnen, bzw. Presbyter oder Kirchenälteste bereuen, dass sie sich für die letzten Vorstandswahlen haben aufstellen lassen. Die Wahl in das Amt eines Dekanats- bzw. Kirchenkreissynodalen wird oft als Kelch erfahren, der hoffentlich an einem persönlich vorbeigehen möge. Viele Gemeindeglieder - inzwischen auch in den durch die Kirchenpolitik der letzten Jahre allenthalben besonders vernachlässigten ländlichen Regionen - tragen sich mit Austrittsgedanken und schauen - gerade wo sie kirchentreu waren! - nach dem, was Freikirchen und Sekten in ihrer Nähe anbieten. Im Beschluss einer deutschen Landessynode in Sachen Ordinationsvorhalt für Pfarrerinnen und Pfarrer verdichtet sich symbolträchtig der Geist und der Umgang des Oben mit denen unten. So hat sich dort tatsächlich eine synodale Mehrheit dafür gefunden, aus dem Text, der einmal den Dienst der PfarrerInnen in der Kirche, aber auch die Fürsorgepflicht der Kirche gegenüber ihren AmtsdienerInnen begründet hat, zu streichen: „...und für dich zu sorgen". Bei immerhin derzeit noch 100 % der Pfarrerinnen und Pfarrer der betroffenen Landeskirche, die auf die alte und gute Formulierung ordiniert worden sind, kommt das einer einseitigen Aufkündigung der Fürsorgepflicht durch ihre Kirche gleich. Dass allerdings die Kirche für ihr beamteten DienerInnen nicht mehr „sorgen" möchte, mussten die PfarrerInnen an vielen Entscheidungen der Synoden und Verlautbarungen der Kirchenleitungen in der jüngeren Vergangenheit schmerzlich begreifen. Wahrhaftig: Wenn die Kirche für ihre Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr sorgen will und nicht mehr sorgt, kann sie bei diesen nur noch die Leistung der Dienstpflichten einklagen, nicht aber ehrliche Loyalität und echtes geschwisterliches Interesse erwarten!

Aber schauen wir noch nach dem Interesse, wie es heute z.B. Pfarrerinnen und Pfarrer an der Basis der Kirche füreinander aufbringen.

Hier müssen wir feststellen, dass jahrelang erfahrene Angriffe und Druck von oben in den Kirchenkreisen, Dekanaten und ihren Pfarrkonventen zu einer schlimmen und leider unbestreitbaren Individualisierung geführt haben, so als wäre man nicht in der einen Kirche, sondern jeder in einem vom anderen völlig getrennten und unabhängigen Arbeitsfeld, vor allem nicht in der einen weltweiten Gemeinde Jesu Christi tätig. Wo ein solcher Druck nicht ausgeübt wurde, wo Dekanate - oft von den Betroffenen selbst nicht nachzuvollziehen - etwa von der Strukturreform ihrer Landeskirche begünstigt wurden und sich ihre personelle Ausstattung zum Schaden anderer Kirchenregionen gar noch verbessert hat, da hat oft eine recht hochmütige Einschätzung der persönlichen Bedeutung und Qualität der eigenen Gemeindearbeit Platz gegriffen. Diese hat sowohl in den betroffenen Dekanaten, wie im Verhältnis zu den, wie man meint mit Recht schlechter bewerteten KollegInnen den bösen Samen gegenseitigen Argwohns, der Konkurrenz, des Neids und vor allem der Entsolidarisierung gesät. Im Bild gesprochen: Man zieht vielleicht noch am selben Strang, aber nicht mehr am selben Ende. Oder anders ausgedrückt:

Wenn's ans Eingemachte geht, sieht jeder nur noch das Eigene.

Welche Blüten besagte Saat inzwischen hervorgebracht hat, möchte die folgende Liste stichwortartig (und gewiss ergänzungsfähig!) vor Augen führen:

Und wie kommen wir hier jetzt weiter?

Ich wollte mit diesem Artikel zunächst nicht mehr, aber auch nicht weniger, als den gegenwärtigen Zustand der Kommunikationskultur in unserer Kirche beschreiben. Konkrete Vorschläge, wie dem objektiv feststellbaren und von vielen KollegInnen schmerzlich gefühlten Mangel an gegenseitigem Interesse und Anteilnahme aneinander abgeholfen werden könnte, muss ich für heute schuldig bleiben. Denn ein „Therapieplan" müsste ehrlicherweise einhergehen mit Empfehlungen für eine Medikation sowie möglicherweise schmerzhaften Sektionen am Patienten „Kirche", die vor dem Hintergrund der Diagnose der gegenwärtigen Beziehungslage in unserer jeweiligen Landeskirche anzusprechen nicht ungefährlich sind. Denn die Besserung des Zustands der Kommunikationskultur in unserer Kirche müsste mit Sicherheit in vielen kirchlichen Bereichen - bis in die höchsten Ebenen! - auch personelle Konsequenzen zugunsten eines Neuanfangs hervorbringen. Geschwisterlichkeit zum Beispiel, als eine unabdingbare Voraussetzung eines neuen Miteinanders in der Kirche Jesu Christi, kann nur unter Kirchenleuten aufkommen, die sich einen Sinn dafür bewahrt haben, was Schwestern und Brüder in Christus eigentlich sind und sein sollen. Auch müssten sie bereit sein, den geschwisterlichen Umgang miteinander - über alle Dienste der Kirche hinweg - etwa den persönlichen Interessen nach einem höheren Verdienst oder dem größeren Einfluss in einer bestimmten Leitungsstellung überzuordnen.

Selbstredend ginge es nicht ab, ohne auch verschiedene Weichenstellungen, wie sie die Landessynoden in den letzten Jahren vollzogen haben, aufzuheben bzw. rückgängig zu machen: So die Beschlüsse für die Gestattung der Homosegnung und die zur Höher-Alimentierung von kirchlichen Führungskräften oder die Schaffung von übergemeindlichen (Profil-)Stellen zum Nachteil der nachweislich (namentlich auf dem Land!) unüberbietbar effektiv arbeitenden Gemeindepfarrstellen. Auch die nicht mehr zu betreuende Gemeindekonstrukte schaffende Pfarrstellenbemessung in manchen Landeskirchen, sowie diverse andere Maßnahmen, die im Zuge der Strukturreformen geboren wurden und weltenweit an den Interessen der Kirchengemeinden vorbeigehen, müssten zurückgefahren werden.

Anders als in der Abkehr von der Management- und Ellenbogenkirche hin zu einer Kirche, die das ihr von ihrem Herrn gesetzte Ziel neu absteckt, zuallererst in der Kirchengemeinde vor Ort auf mancherlei Weise das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen und zuvörderst den Schwachen in der Gesellschaft nah zu sein, sehe ich kein Heil für unsere Kirche. Allerdings kann ich auch bei angestrengtestem Hinsehen gegenwärtig nirgendwo das kleinste Zeichen für eine solche Entwicklung entdecken.

Manfred Günther, Pfr. i.W.
Lohgasse 11a
35325 Mücke/Groß-Eichen

EMail: pfr.guenther@onlinehome.de
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