Dokument Bischof von Limburg schreibt einen Fastenbrief an Eltern LIMBURG, 23. Februar 2004 (ZENIT.org). Wir veröffentlichen hier einen Brief des Bischofs von Limburg, Franz Kamphaus, der als Anregung für die Fastenzeit an Eltern in Deutschland gerichtet ist. Liebe Geschwister im Glauben! In den vergangenen Jahren habe ich häufiger den Kindern einen Brief geschrieben. Heute wende ich mich an Sie, die Erwachsenen, weil mir die Kinder sehr am Herzen liegen und ich Sie um Ihre Mitsorge bitten möchte. I. Zur Situation Zurzeit wird heftig darüber gestritten, wie Deutschland zukunftsfähig werden kann. Das Zauber- wort heißt Innovation, Erneuerung. Wie ernst ist das gemeint? Kinder sind die tiefgreifendste Innovation; Kinder sind – heißt es – die Zukunft unserer Gesellschaft. Wenn das zutrifft, ist es darum schlecht bestellt. Unser Land leidet an einem dramatischen Kindermangel. Damit fehlt nicht nur die Zukunft, damit fehlt die Grundlage der viel beschworenen Innovation. Kinder gleichen dem frischen Wind, der die abgestandene Luft einer müden Erwachsenenwelt vertreibt und die Atmosphäre erneuert. Ein Staat, in dem am laufenden Band Reformideen aus dem Hut gezaubert werden, der aber viel zu wenig für Kinder tut, produziert mit aller Geschäftigkeit nur heiße Luft. Die Christen sind davon nicht ausgenommen. Wo sind die Familien, die ihre Entscheidung für Kinder mit in die Kirche hinein tragen und unsere Pfarrgemeinden neu beleben. Deutschland sieht alt aus. Was die Kinder angeht, gehören wir nach einer Statistik der Weltbank zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Das bleibt nicht ohne Folgen. Denken Sie nur an die ins Mark gehende Krise der sozialen Sicherungssysteme. Die Politik hat jahrzehntelang Familien mit Kindern benachteiligt. Sie hat nicht einmal Ungerechtigkeiten beseitigt, die höchstrichterlich als verfassungswidrig erklärt worden sind. Dieser Skandal wirkt sich aus. Kinder sind zu einem alarmierenden Armutsrisiko geworden. Die Schuld an dieser Entwicklung trifft nicht nur die Politik. Unsere Gesellschaft ist von kinderfeind- lichen Tendenzen durchsetzt. Eltern, die in der Stadt eine Wohnung suchen, erfahren sehr schnell, dass Kinder unerwünscht sind. Geeigneter Wohnraum ist zur kaum erschwinglichen Mangelware geworden. Frauen und Männer, die ihre Arbeitsverhältnisse den Erfordernissen einer Familie mit Kindern anpassen wollen, finden nur selten Arbeitgeber, die ihnen entgegen kommen. Besonders alleinerziehende Mütter vermissen Betreuungsmöglichkeiten, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können. Die Entscheidung für Kinder bringt schwerwiegende Nachteile mit sich. Mit EINEM Kind geht es oft noch. Je mehr es werden, desto schwieriger wird es. So wichtig es ist, den unterschiedlichen Ursachen des Kindermangels nachzugehen und Abhilfe zu schaffen – mehr Wohnraum, mehr Geld, mehr Betreuung allein werden noch keine Wende bewirken. Die DDR hatte sehr hohe Standards in der Kinderbetreuung, gleichwohl aber eine ganz niedrige Geburtenrate. Früher hieß es: “Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir“. Jetzt sind diese Kinder erwachsen – und wollen keine Kinder mehr , mit denen sie ihre Ansprüche teilen müssten. Die Entscheidung FÜR Kinder ist immer auch eine Entscheidung GEGEN manches Andere. Alles zugleich geht nicht. - 2 - Neue Umfragen belegen , dass sich Paare deutlich mehr als zwei Kinder wünschen. Aber wenn es ernst wird, sind sie nicht bereit, den Preis für die Erfüllung ihres Wunsches zu zahlen. Auch unter den Christinnen und Christen ist dann letztendlich Anderes wichtiger als Kinder. Offenbar ist der Glaube zu schwach, um kinderabweisende Tendenzen zu überwinden. Viel zu vielen ist die „Kultur des Lebens“ fremd geworden. Das ist unser größter Mangel. II. Für eine christliche Lebenskultur Was ist uns wichtig? Die Antwort auf diese Frage gibt Auskunft über unsere Lebenskultur. Vor einigen Jahren hat man zu klären versucht, was den Europäern am Herzen liegt. Das Ergebnis ist eindeutig: Dinge stehen höher im Kurs als das Leben. “Man müsste in Europa das Glück haben, als Auto zur Welt zu kommen“, lautet das spöttische Fazit. In Hamburg stehen jedem Kind vier Autos gegenüber, in München gar fünf: unscheinbares Leben gegen eine Übermacht aus Blech. Unsere Wertehierarchie ist auf den Kopf gestellt: “Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind!“ Was ist uns Christen wichtig? Wofür stehen wir ein? Jesus hat gerade im Umgang mit den Kindern Maßstäbe gesetzt, die uns in die Pflicht nehmen. Sie kennen die einschlägigen Stellen aus dem Evangelium. Was hat er gemacht? Er hat – damals revolutionär – die Kinder in die Mitte gerückt. Er hat sich mit ihnen identifiziert. Kinder sind zuerst und vor allem Repräsentanten Gottes. Sie sind sein Geschenk, sind Gottes Kinder. Sie werden nicht erarbeitet und hergestellt, sondern empfangen. Im Zeitalter der Macher ist das eine Provokation. Viele denken, alles sei machbar, und das Machbare sei alles. Der Mensch produziert sich selbst. Das ist ein riesiger Schwindel. Das Kostbarste und Wichtigste im Leben ist uns geschenkt, wie das Leben selbst. Es ist nicht Verdienst und Leistung, sondern Gnade. Und zugleich nehmen die Eltern in der Zeugung eines Kindes teil an Gottes Kreativität. Es gibt keine größere Kreativität als die Weitergabe des Lebens. Das scheint beim landläufigen Kreativitäts- gerede fast vergessen. Die in Gott gründende Würde der Kinder verbietet es, sie als Mittel zum Zweck zu missbrauchen. Sie sind um ihrer selbst willen wichtig, nicht nur als künftige Erwerbstätige, Steuerzahler oder Verbraucher. Kindesmissbrauch beschränkt sich keineswegs auf den sexuellen Bereich, er geschieht überall dort, wo Kinder nur dazu herhalten müssen, stromlinienförmig den Interessen von Wirtschaft und Konsum zu dienen oder die Träume ihrer Eltern zu verwirklichen. Kind Gottes zu sein garantiert den Kindern Unabhängigkeit. Es schenkt ihnen die Freiheit, ein Original zu sein, nicht ein Abziehbild gesellschaftlichen Trends. Sie sind ein Geschenk des Himmels. Kinder müssen nicht erst Menschen werden, sie sind es. Sie sind keine kleinen Erwachsenen, aber sie wollen erwachsen werden. Sie brauchen deshalb stabile Rahmenbedingungen, Zeit und Raum, um wachsen zu können. Es schadet ihnen, wenn ihnen die Kindheit gestohlen wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob Armut zu diesem Ergebnis führt, der Druck ehrgeiziger Eltern oder die Anpassungszwänge der Gesellschaft. Kinder müssen ihren eigenen Standpunkt gewinnen und ein starkes Rückgrat. Sie brauchen Erziehung. Noch viel dringender benötigen sie Erwachsene, die ihnen Vertrauen schenken und Zuwendung, sich Zeit für sie nehmen können und ihnen Raum geben im eigenen Leben. Aus: ZENIT-Agentur, Meldung am 24. 02. 2004 ZG04022311