Homosegnung: Ein Wort zu einer unverantwortlichen Entscheidung Es wird – nach der Entscheidung der Landessynode vom 4.12.2002 – in Kirchen- und Kirchenleitungskreisen so getan, als wäre die Debatte über die Segnung von homosexuellen Lebensgemeinschaften mit diesem Beschluß abgeschlossen, ja zu einem guten Ende gekommen. Es wird sich zeigen, dass weder das eine noch das andere richtig ist. Ich habe mich an der Diskussion über die Fragen um die Homosegnung von Anfang an rege beteiligt, habe mich dabei von offenbar betroffenen anonymen Emailschreibern beschimpfen lassen und mich über die selbstverständliche Gleichsetzung der Ablehnung der Segnung mit einer die Homosexuellen selbst ablehnenden Haltung geärgert, habe versucht, wirklich schwerwiegende Argumente aus gemeindlich-seelsorgerlicher Sicht zu verbreiten und bis in die höchsten Kreise der Kirche hinaufzutragen, und habe keinerlei Reaktion darauf, geschweige denn ein gewisses Bemühen um Verständnis erfahren. Ich will nun heute nicht neuerlich in eine mich in ihrer Schärfe bedrückende und die Beschaffenheit der Herzen von „ChristInnen" schmerzlich offenbarende Diskussion einsteigen oder dafür Argumente vorstellen. Es ist von mir im Vorfeld der Synodenentscheidung alles gesagt worden, was ich sagen musste. Was ich hier allerdings noch vortragen möchte, hat damit zu tun, was jetzt mit einiger Sicherheit über uns kommen wird und wie wir einzelne ChristInnen dem begegnen können. Leider sind wir eben einzelne ChristInnen, denn viele – wie ich auch – fühlen sich von der Landessynode der EKHN, dem LGA, also den Pröpsten, oder gar der Kirchenleitung nicht mehr vertreten. Und schon die Tatsache, dass vor der Entscheidung auch die Segnungsbefürworter nur von einer hauchdünnen Mehrheit für die Homosegnung gesprochen haben, diese dann aber mit 70 % recht komfortabel ausgefallen ist, offenbart deutlich, dass in der Landessynode auch mit starken Einflüssen von Lobbyisten und einem gewissen moralischen Druck seitens derer zu rechnen ist, die bestimmte Beschlüsse und Weichenstellungen um jeden Preis erreichen wollen. Vor allem bleibe ich dabei: Das Ergebnis der synodalen Abstimmung vom 4.12.2002 über die Homosegnung ist ganz und gar kein Abbild dessen, wie in der EKHN an der Basis der Gemeinden gedacht wird und was bei einem Entscheid in den Gemeinden der Kirche herausgekommen wäre. Es wurden während der dem Beschluß vorauslaufenden „Konsultationen" auch beileibe nicht alle Dekanate oder Pfarrkonferenzen gehört. Wenn ein Votum eines Pfarrkonvents oder einer Dekanatssynode bis nach Darmstadt gedrungen ist, lag das oft schlicht daran, wen man um ein Votum gebeten hatte, bzw. wer dann etwa als Präses oder Dekan in seinem Einflußbereich ein solches herbeigeführt hat. Sich jetzt hinter einer angeblichen Mehrheit in der Kirche für die Segnung zu verschanzen, ist Selbstbetrug, unwahrhaftig und unredlich. Das sehe ich jetzt kommen: - Sehr viele Menschen werden aus dieser Kirche austreten, die sie nicht mehr als die ihre erkennen. Gewiß werden darunter auch solche sein, die im Grunde der Homosegnung gleichgültig gegenüber stehen. Diese Menschen nutzen also nur die willkommene Gelegenheit, sich mit vorgeblichem Recht aus der Verpflichtung zur Kirchensteuerzahlung zu flüchten. Gleichwohl sind sie künftig nicht mehr auf die Sache der Kirche bzw. der Gemeinde Jesu Christi ansprechbar. - Die von Schwulen und Lesben angekündigte „massenhafte Rückkehr" der in der Vergangenheit von „ihrer" Kirche enttäuschten und daher ausgetretenen homosexuell liebenden Christen in die Kirchenmitgliedschaft wird ausbleiben. - Die EKHN, die Kirchenleitung und die Landessynode wird einen Ansehensverlust ohnegleichen erleiden, der vom Gewinn, den sie in der Münze der Aufmerksamkeit der Medien und der gesellschaftlichen Einschätzung als „fortschrittliche Kirche" vielleicht gesammelt hat, bei weitem nicht aufgewogen werden kann. - Die Entfremdung vieler in der Kirche arbeitenden Frauen und Männer sowie weiter Kreise der Pfarrschaft zu „ihrer" Kirche wird wachsen. Die Synode, die in der Vergangenheit schon von der Pfarrschaft peinlich schlechte Noten (Pfazi) erhalten hat, wird als das oberste Entscheidungsorgan der Kirche in Frage gestellt und nicht mehr ernst genommen werden. Die Kirchenleitung und das LGA haben jegliches Vertrauen als um Ausgleich und Verständnis aller ihrer Glieder bemühte Instanzen verloren. Sie werden künftig als Repräsentanten einer Kirche von oben gesehen werden, die wenig bis gar nichts davon wissen, wie ihre Basis denkt, fühlt und lebt, die vielmehr um jeder Randgruppe willen, deren Anliegen einige Medienaufmerksamkeit verheißt, dazu bereit ist, die überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder zu brüskieren und der Gewissensnot preiszugeben. - Das Stadt-Land-Gefälle, das ja faktisch in vielen Bereichen – wenn auch oft ziemlich unbeachtet - besteht, wird nun endgültig auch dem persönlichen Glauben und dem christlichen Denken der „einfachen" Gemeindechristen offenbar und schmerzlich spürbar werden. Wir Gemeindeglieder in den ländlichen Regionen der Landeskirche werden begreifen müssen, dass unsere gute, traditionelle kirchlich-biblische Bindung in weiten Teilen der Kirche mit Füßen getreten wird. Auch müssen wir uns damit auseinander setzen, dass in anderen – besonders den städtischen – Kirchengebieten das Wort Gottes mit einer uns fremden Exegese ausgelegt und aus fragwürdigen theologischen, nicht geistlichen und schon gar nicht seelsorgerlichen Gründen für eine Entscheidung votiert wird, die wir mit der Heiligen Schrift für unvereinbar halten. - Die Zusammenarbeit mit der Landeskirchlichen Gemeinschaft, wie sie in einigen Gegenden der Landeskirche in fruchtbarer Zusammenarbeit um die Seelsorge und Verkündigung für die Menschen der Gemeinden oft seit vielen Jahrzehnten bemüht war, wird gefährdet und wenn nicht alles täuscht an vielen Orten nicht fortgeführt werden können. Damit geht eine schlimme Irritation in den aus Gemeinschafts- und Kirchenmitgliedern zusammengesetzten Kirchengemeinden einher, die zu Kirchenaustritten und zur Gemeindespaltung führen wird. - Zahlreiche Kandidaten, die wir vielleicht mit viel Mühe für die Kandidatur bei der Kirchenvorstandswahl im kommenden April gewonnen haben, werden angesichts einer Kirche, deren oberstes Entscheidungsorgan mehrheitlich von den für unaufgebbar, ja heilig gehaltenen Werten abrückt, ihre Bereitschaft zur Kandidatur zurückziehen. Damit werden viele PfarrerInnen sowohl zeitlich als auch in ihrer Beziehung zu diesen Menschen in große Not und Bedrängnis geraten. - Überhaupt wird ausgerechnet von uns GemeindepfarrerInnen an der Basis der Kirche jetzt wie selbstverständlich verlangt, dass wir allen Ärger und alle Vorwürfe gegenüber der Synode und Kirchenleitung parieren bzw. ausbaden, die Menschen, die wir doch in ihrem Zorn und ihrer Erbitterung gut verstehen können, vom Kirchenaustritt zurückhalten oder ihnen in stundenlangen Gesprächen und Telefonaten zu versichern, dass wir noch nicht „vom rechten Glauben abgekommen sind", wie wir uns das im Blick auf die Leitung der EKHN schon in den letzten Jahren und noch einmal vermehrt in den letzten Tagen unzählige Male haben anhören müssen. - Neben der Enttäuschung also, den uns die Entscheidung der Kirchensynode selbst verursacht hat, neben dem Zorn, den die Tatsache in uns weckt, dass wir vor dieser Entscheidung nicht wirklich gehört wurden und sie darum nicht anerkennen und nicht akzeptieren können, neben aller zusätzlichen Arbeit, die uns in diesen stressigen Advents- und Vorweihnachtstagen die Kirchenwahl des kommenden April abverlangt, müssen ausgerechnet wir PfarrerInnen der Gemeinden die ganze Last der Folgen dieser synodalen Fehlentscheidung tragen. Denn von uns verlangt man hier an der Basis Rechenschaft für dieses unselige Votum für die Homosegnung, das wir für biblisch nicht begründbar, theologisch nicht haltbar und seelsorgerlich nicht hilfreich, sondern für Gemeinden absolut zerstörerisch halten. Uns spricht man darauf an, was „die Kirche in Darmstadt da angerichtet hat", uns identifiziert man mit einer Sache, die für die Menschen den Verrat von allem darstellt, was „der Kirche doch einmal heilig gewesen ist", uns tritt man sogar offen feindselig gegenüber, um sich in Ermangelung eines an der Entscheidung Beteiligten mit unflätigen Beschimpfungen über uns herzumachen. (Ich werte das als einen Beleg dafür, dass die Entscheidung über die Segnung von vornherein nicht in die Synode der EKHN gehört hätte, sondern in die Gemeinde vor Ort, dorthin also, wo die Bitte um Segnung artikuliert wird, bzw. – wie wohl bei uns im Vogelsberg – in den nächsten 100 Jahren nicht ein einziges Mal ausgesprochen worden wäre. Hätte die Landessynode die Entscheidung über die Segnung homosexueller Partnerschaften in die Verantwortung der Kirchenvorstände gelegt, hätte man dasselbe Ziel, das man jetzt erreicht hat, auch erreicht, allerdings ohne den jetzt aufgetretenen Vertrauensverlust und die Zerstörung der Einheit der Kirche.) - Zum Schluß noch der für mich als Seelsorger einer kleinen ländlichen Gemeinde wichtigste Aspekt: Mir graut, wenn ich daran denke, was von nun an Schwule und Lesben - auch solche, die niemals nach einer öffentlichen Segenshandlung verlangt hätten!!! - in ihren traditionell geprägten Gemeinden werden hören und erfahren müssen! Haben sie und ihre PartnerInnen doch jahre-, vielleicht jahrzehntelang in guter Nachbarschaft und bestem Einvernehmen mit der übrigen Bevölkerung ihres Dorfes oder ihrer Kleinstadt zusammengelebt, wird man sie jetzt mit einer theologischen und seelsorgerlichen Entgleisung der Kirchenleitung identifizieren und sie spüren lassen, was sie doch zuletzt verantworten. – Es erscheint besonders vor diesem Hintergrund einfach als zu wenig, die kirchlich-traditionelle Verschiedenheit von Stadt und Land in der EKHN anzusprechen und zu beteuern, man wäre sich ihrer bewusst – sie hätte auch endlich einmal geachtet werden müssen! Mein Fazit: Die Entscheidung der Landessynode für die Homosegnung schadet allen: Der evangelischen Kirche insgesamt, der Kirchenleitung, die eine Debatte über die Homosegnung ohne wirklichen Anlaß losgetreten hat und den positiven Beschluß schon vor dem Eintritt in die Diskussionen und Konsultationen angekündigt und ihn später maßgeblich herbeigeführt hat, den Synodalen, die ihm ihre Stimme gegeben haben, den Kirchenvorständen und PfarrerInnen, die den Unmut der Gläubigen spüren müssen und vor allem den homosexuell liebenden Menschen, die, was ihre gesellschaftliche Akzeptanz angeht, um einige Jahrzehnte zurückgeworfen wurden. Vorschläge, wie mit diesen Zukunftsaussichten „konstruktiv" umzugehen ist, fallen mir derzeit nur zwei ein: Nicht gleich aus der Kirche austreten, vielmehr die Mitarbeit in der örtlichen Kirchengemeinde verstärken, um diese und ihre Pfarrerin, ihren Pfarrer in ihrer Position gegenüber der Landeskirche und ihrer jetzt getroffenen Entscheidung zu unterstützen. Daneben wünschte ich mir, dass aller Unmut und aller mir sehr verständlicher Zorn nicht gegen die gerichtet wird, die den unseligen Beschluß doch ganz und gar nicht verantworten, sondern gegen die, die mit ihrer Entscheidung vom 4.12.2002 wirklich Anlaß dazu gegeben haben: Den Präses der Landessynode und die Kirchenleitung der EKHN, das LGA und die Landessynodalen der Dekanatssynoden. Manfred Günther Lohgasse 11 35325 Mücke/Groß-Eichen manfred.guenther@t-online.de