Am 4. Dezember 2002 hat die EKHN-Synode die hier besprochene neue Pfarrstellenbemessung beschlossen. Das war für Kenner der Synode und der Mechanismen, wie dort Entscheidungen vorbereitet werden und zustande kommen, zu erwarten. Ich gebe dem neuen Verfahren, das wohl vom Februar 2003 an gültig sein wird, ein knappes Jahr der Geltung. Die mit der jetzt abgesegneten Form der Pfarrstellenbemessung einhergehenden Probleme und die weitere Verschlechterung des „Betriebsklimas“ in den Dekanaten und DSV’s, sowie der gesamten Landeskirche werden wohl noch im Jahr 2003 den Ruf nach einem anderen und wirklich besseren Bemessungsverfahren laut werden lassen. Die hier vorgestellten Fehler der jetzt beschlossenen Bemessung lasse ich auf meinen Seiten unverändert stehen, wenn auch nur als einen Beleg dafür, dass so manches an den nun entstehenden Problemen vorhersehbar gewesen ist und vorhergesehen wurde. Manfred Günther, 4. Dez. 2002 _________________________________________________________________ Die sechs schlimmsten Fehler der neuen Pfarrstellenbemessung Ich bin überzeugt, daß die neue Pfarrstellenbemessung - wenn nicht endlich massiver Widerstand aus den Reihen der Pfarrschaft kommt - die Landessynode im Dezember 2002 endgültig passieren und im Februar 2003 gesetzliche Gültigkeit erlangen wird. Damit dürfte das Sterben unzähliger heute noch lebendiger Gemeinden in der EKHN im Verlauf der nächsten Jahre besiegelt sein. Da die Landessynode in der Vergangenheit manchen kirchen- und personalpolitischen Weichenstellungen mehrheitlich zugestimmt hat, die sich schon heute, aber noch mehr in der Zukunft als gemeindeschädlich und zuletzt die Kirche zerstörend erwiesen haben bzw. erweisen werden, müssen wir PfarrerInnen m.E. die Kirchenpolitik und die Zukunftssicherung der Kirche in die eigenen Hände nehmen. Daß ich von Kirchenleitung und Kirchenverwaltung in diesen Fragen nichts mehr erwarte, habe ich in einigen Artikeln und auf meinen Internetseiten zur Genüge, leider nicht mit dem angemessenen Erfolg, darzulegen versucht. Ich fasse meine Kritik an der neuen Pfarrstellenbemessung (PB) in folgende sechs Punkte: 1. Die neue PB nennt und gewichtet noch viel drastischer als die vorige nur quantitative Kriterien der Bemessung, die noch dazu gemeindefremd, inkonsequent angewendet, unangemessen und daher uneinsichtig sind. - Was geht den evangelischen Pfarrer zunächst einmal die "nichtevangelische Bevölkerung" an (10 %)? Warum werden aber nur "Kindertagesstätten in evangelischer Trägerschaft" gewertet (10 %)? Sind alte Menschen vielleicht doch weniger wert als junge, denn nach Altersheimen fragt die neue PB nicht? Wie kommt eine Belanglosigkeit wie eine Fahrtstrecke zur drei km entfernten Filiale (die vielleicht ein oder zweimal in der Woche zu fahren ist) zu einer derartig gewaltigen Gewichtung (10 %)? 2. Die neue PB sieht und wertet keinerlei qualitative Arbeit in den Gemeinden und der Region. Jegliches Engagement von Ehrenamtlichen, von Pfarrerinnen und Pfarrern wird ausgeblendet und fließt nicht in die Bemessung ein. Ob eine Gemeinde z.B. missionarisch im Gemeindeaufbau oder der Ansage des Evangeliums in der Gesellschaft besonders aktiv ist oder ob sie schläfrig und unlebendig ist und bleibt, hat für die PB keinerlei Relevanz. - Die neue PB wird dabei nicht nur den oft von der Kirchenleitung als erbärmlich bezeichneten geistlichen Zustand vieler Gemeinden zementieren, sie wird auch die lebendigen Gemeinden mittelfristig in einen solchen Zustand versetzen. Das in Sonntagsreden gepriesene Engagement von Ehrenamtlichen und der PfarrerInnen wird durch die PB faktisch als überflüssig, da nicht bemessungsrelevant, erklärt. Neben der heute schon allenthalben spürbaren Resignation und Frustration wird in Zukunft auch noch eine fatalistische Lethargie in die Pfarrschaft und die Mitarbeiterschaft der Gemeinden einziehen. Es lohnt sich nicht mehr, in Gemeindeaufbau und -arbeit, in Seelsorge und die Menschen für Christus gewinnende Verkündigung zu investieren. 3. Die neue PB gibt die Bewertung, Bemessung und die daraus folgenden Kürzungs- bzw. Streichungsmaßnahmen an Pfarrstellen in die Verantwortung der Dekanate, namentlich der Dekanatssynodalvorstände. - Die DSV's sind hierbei einmal zeitlich und kräftemäßig völlig überfordert, zum anderen sind sie aber auch ein Gremium von Interessensträgern, die etwa als Zeugen bei Gericht allesamt als befangen abgelehnt würden. Hinter jedem DSV-Mitglied steht mindestens eine Kirchengemeinde mit ihrer Wohlfahrt oder aber ihrer Zerstörung, ihrer Möglichkeit künftigen Gemeindelebens oder dem Verlust ihrer Pfarrerin, ihres Pfarrers. Alle DSV-Mitglieder sind daher genuin ungeeignet, die PB durchzuführen und sie stehen immer im Verdacht, die "eigenen" Gemeinden zu verschonen und das St.-Florians-Prinzip anzuwenden. Das gilt auch dann, wenn die Gesetzesversion der PB sich durchsetzen sollte, die eine Zustimmung der jeweiligen "gekürzten" oder "gestrichenen" Kirchengemeinde vorsieht. Ich gehe davon aus, daß diese Zustimmung in den seltensten Fällen zu erlangen sein wird! 4. Die neue PB macht die Anzahl der zukünftig in der Landeskirche geschaffenen Pfarrstellen abhängig von demografischen Entwicklungen. - Es kann nicht sein, daß sich kirchliche Mission, Verkündigung und Seelsorge Erhebungen über Mitgliederzahlen, bzw. ja eigentlich des jeweiligen Kirchensteueraufkommens, unterwirft! "Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker...", hat Jesus gesagt. Und er hätte als Voraussetzung dieses Auftrags gewiß nicht den prüfenden Blick auf Statistiken und die Fieberkurve demografischer Untersuchungen gelten lassen! Im Gegenteil: Die Wirtschaft, um deren Anerkennung als managementgeführtes Unternehmen die Kirche seit einigen Jahren buhlt, kennt die "antizyklische Werbung": Gerade in Zeiten, in denen Produkte schlechter gehen, wirft sie alle nur irgend verfügbaren Mittel in die Bewerbung ihrer Waren. Wir haben das beste "Produkt" der Welt - und haben es auch noch zu verschenken! 5. Die neue PB beeinflußt durch ihre Beziehung zur demografischen Entwicklung in der Kirche äußerst ungünstig die Besetzbarkeit der Pfarrstellen und die Möglichkeiten in den Gemeinden, vorausschauend und verantwortlich ihre Arbeit zu planen. - Zwar spricht der Leiter der Personalabteilung gern in Interviews und Presseverlautbarungen von der "Planungs- bzw. Zukunftssicherheit", die durch die neue PB gewährleistet wäre. Das Gegenteil ist allerdings der Fall: Durch die Abhängigkeit vom Rückgang der Gemeindeglieder wird die Unsicherheit in aller Zukunft ständiger Begleiter der DSV's und der Kirchenvorstände sein. Besonders kleinere Gemeinden und ihre PfarrerInnen leben künftig immer in Angst vor jeder neuen Veröffentlichung der Mitgliederzahlen der EKHN. Jede Abnahme der ev. Bevölkerung kann sich besonders bei kleineren Gemeinden in Kürzung oder Streichung auswirken. Eine gedeihliche Gemeindearbeit wird nicht mehr möglich sein. Die persönliche Zukunftsplanung und die Jahre übergreifende dienstliche und persönliche Bereitschaft zur Identifikation mit der Gemeinde und der Arbeit in ihr, wie sie PfarrerInnen und ihre Familien, sowie alle Ehrenamtlichen unbedingt brauchen, hängt künftig am Tropf bevölkerungspolitischen Aufs und Abs. Das macht - besonders vor dem Hintergrund des hausgemachten Pfarrermangels - kleine (zumal ländliche) Pfarrstellen zukünftig praktisch unbesetzbar! 6. Die neue PB wertet in keiner Weise die Kirchlichkeit, Treue und bewiesene Anhänglichkeit der Kirchenmitglieder. - In Zeiten, in denen große Kaufhäuser, Konzerne oder Gewerkschaften ihren Mitgliedern ganz selbstverständlich vor Nichtmitgliedern Vorteile und Boni zum Zwecke der sog. "Kundenbindung" einräumen, meint die EKHN es sich leisten zu können, ihren "besten" Mitgliedern keinerlei Vorzüge anzubieten. Im Gegenteil: Blind, wie ihre angebliche "Gerechtigkeit" nunmal ist, begünstigt sie z.B. in den Ballungszentren ohne Ansehen der Religion außerkirchliche Randgruppen und Einzelpersonen (z.B. City- Kirchenarbeit), während sie lebendige - vielleicht aber um wenige Seelen zu kleine - Kirchengemeinden durch Halbierung zum Tode verurteilt und ihren treuesten Mitgliedern nur noch eine völlig unzureichende "Grundversorgung" angedeihen läßt. Das biblische Wort "Allererst an des Glaubens Genossen", wendete man es hier an, würde wohl das eine tun, das andere aber um Gottes Willen nicht lassen: Auch Randgruppen und Einzelpersonen müssen gesehen und betreut werden, aber erst, wenn das Leben in den Kirchengemeinden, die Aktivität und das Engagement von PfarrerInnen und MitarbeiterInnen in den Gemeinden angemessen gewürdigt und mit der Erhaltung und Sicherung ihrer Pfarrstellen belohnt worden ist. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen über die Fragen um die neue Pfarrstellenbemessung nachzudenken und sie in den Pfarrkonferenzen und Dekanatssynoden zu besprechen. Ich bitte um Rückmeldung, wo die Dinge anders gesehen werden und ich bitte um Beauftragung der Landessynodalen mit einem entsprechenden Votum in der EKHN-Synode vom Dezember 2002. Ich glaube, die Zukunft unserer Kirche und die Verantwortung, die wir für unsere Gemeinden tragen, verlangen diese Mühe. Manfred Günther, Pfr.i.R., Lohgasse 11A, 35325 Mücke-Groß-Eichen pfr.guenther@onlinehome.de