Wenn’s offen nicht klappt, geht man eben hintenrum Erfahrungen mit Mobbing in der Kirche, von Ingrid Ullmann Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Per- son gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft über einen längeren Zeitraum hinweg vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen. Die sozialen, physischen und psychischen Folgen von Mobbing sind heute wissenschaftlich erwiesen und als Faktum anerkannt. Das öffentliche Problembewusstsein wird aufgeschreckt durch spektakulären Fälle wie der Freitod einer jungen Polizistin in München. Doch zwischen Suizid und Krankheit, Abwehr und Resignation, Verstörung und Depression, gibt es ein sprachloses Heer von Betroffenen, die oft nachhaltig sozial, materiell und psy- chisch geschädigt werden. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Le- bens- und Arbeitsbedingungen geht von 10% der Erwerbstätigen aus, die schon einmal körperlichen oder seelischen Belästigungen am Arbeitsplatz ausgesetzt waren . Mobbing in der Kirche hat noch einmal eine besondere Problematik. Oft ge- schieht es unter dem Deckmantel der Nächstenliebe oder einer pharisäerhaften Selbstgerechtigkeit und ist deshalb besonders schwer zu benennen und aufzude- cken. Der Ruf des Betroffenen wird demontiert. Wenn dann die Kirchenleitung noch um der Ruhe und der Kirchensteuerzahler willen gemeinsame Sache mit den Mobbern macht, ist es für das naive Bewusstsein als habe Gott selbst ge- sprochen. Verleumdungen und Verzerrungen werden so zu unerschütterlichen Tatsachen. Nach den Erfahrungen von D.A.V.I.D. e.V. ist der so genannte “Ungedeihlich- keitsparagraf” ein weit geöffnetes Einfallstor für Mobbing an Pfarrerinnen und Pfarrern. Darunter versteht man ein Prozedere, das in vielen Landeskirchen an- gewendet wird, wenn sich in den Gemeinden ein Konflikt anbahnt. In der EKHN Pfarrergesetz § 35a, Absatz 1 lautet er z.B.: “Ein Pfarrer kann abwei- chend von § 35 ohne seine Zustimmung aus seiner Stelle versetzt werden, wenn...eine gedeihliche Führung seines Amtes als Inhaber der Stelle nicht mehr zu erwarten ist; die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn die Gründe nicht in der Person des Pfarrers liegen.” In anderen Landeskirchen gibt es ähnliche Regelungen. Im Klartext heißt der Sinn salopp gesprochen: ..die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn einigen Leuten im Kirchenvorstand seine/Ihre Nase nicht passt. Denn den Antrag auf die Anwendung dieses Paragrafen mit seinen traurigen Folgen kann ein Kirchenvorstand stellen, doch wer kontrolliert den Kirchenvorstand? In der Realität kommt es jedoch oft nicht einmal zu einer Versetzung, sondern die Betroffenen gehen in den so genannten Wartestand und oft danach in den vorzeitigen Ruhestand. Vor allen Dingen dann , wenn sie das Verbrechen bege- hen, sich gegen die drohende Wartestandsversetzung zu wehren. Es wäre eine interessante Frage zu prüfen, wie viel Gelder die Evangelische Kirche für diese Form der “Entsorgung” ihrer unbequemen Hauptamtlichen ausgibt und schon ausgegeben hat. Soziale Entwurzelung, Erwerbsminderungen, Verzweifeln an der Kirche, ja selbst am Glauben sind die traurigen Folgen. Nicht einer von den Betroffenen, die sich D.A.V.I.D. e.V. anvertraut haben, der nicht gesagt hätte: “Aber ich war doch mit Leib und Seele Pfarrer.” Und in vielen Fällen soweit es sich um Pfar- rer handelt , – haben sich auch die Pfarrfrauen über Jahre hinweg unentgeltlich für die Gemeinde eingesetzt, ehrenamtliche Aufgaben übernommen, über das Gemeindebüro den Kontakt zu den Gemeindegliedern gehalten, als erste An- laufstelle für Gemeindeglieder gedient, bei Gottesdiensten mitgewirkt. Das alles wird wie nichts vom Tisch gefegt. Eine letztlich theologisch begründete Institution, von der der Einzelne ein ge- wissenhafteres Streben nach Ausgleich und Gerechtigkeit erwartet als in der übrigen Gesellschaft, duldet Mobbing aus Gründen der Anpassung oder auch der Personalregulierung oder Vermeidung von aufwendigeren Disziplinarver- fahren. In der Regel erleben Pfarrerinnen und Pfarrer zum ersten Mal Mobbing, wenn sie selbst davon betroffen sind. Zumeist gehen sie dann einen langen und mü- hevollen Weg allein. Vielleicht hatten sie so etwas Ähnliches schon in ihrem Berufsumfeld schon beobachtet, aber man hatte ihnen gesagt, dass diese Person ganz unmöglich sei, aus allen Rastern herausfalle, ja, dringend psychologischer Beratung und Behandlung bedürfe. Von Ferne nehmen wir diese verstoßene Person wahr: Sie hat ein unsichtbares Schild auf der Stirn. Darauf steht ge- schrieben: “Untauglich für den Beruf der Pfarrerin oder des Pfarrers für alle Zeiten.“ Obwohl das Schild unsichtbar ist, kennen und respektieren es alle, be- sonders die “Mitschwestern“ und “Mitbrüder“ in den Pfarrkonventen. Und wo er oder sie auch immer hingeht, da geht dieser Ruf voraus. Und wenn das glück- licherweise noch nicht an allen Stellen so ist, dann spätestens, wenn ein Kir- chenvorstand arglos die Stelle an den Betroffenen vergeben möchte. Dann mel- den sie sich die allmächtigen Entscheider in der Kirchenhierarchie und sorgen dafür, dass es keine neue Chance gibt. Aber wie geht es den Betroffenen damit? Sie haben ihre Examen abgelegt, ihr Vikariat absolviert und die eine oder andere Pfarrstelle gehabt. Ständig lernen sie neue Menschen in neuen Situationszusammenhängen kennen, stehen vor neuen Herausforderungen, vor unbekannten Erwartungen. Manchmal werden sie von Gemeindegliedern ausdrücklich gelobt, von anderen vielleicht auch schon mal kritisiert. Sie haben Ambitionen – vielleicht für Kirchenmusik oder Jugendarbeit –, sie haben Aversionen – möglicherweise gegen Verwaltungsar- beit oder zu starke Einbeziehung in örtliche Vereinsstrukturen in die Gemeinde, kurz: sie haben Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen. Doch es gibt jemanden in der Gemeinde, der hätte alles anders und insbesondere besser gemacht. Dieser Mensch, nennen wir ihn hilfsweise “Pfarrerhasser“, verzeiht nur seine eigenen Fehler, aber nicht die der anderen. Und in diesem Moment beginnt der Leidensweg seiner Zielperson, denn jetzt werden geringschätzige Botschaften in Umlauf gesetzt und Vorgesetzte infor- miert. Der Pfarrer oder die Pfarrerin wird ständig beobachtet. Das Ziel der Ob- servation ist es, tatsächliche oder vermeintliche Fehler aufzuspüren. Diese tat- sächlichen oder vermeintlichen Fehler werden aufgebauscht und wichtig ge- macht. Die Vorgesetzten sind in der Regel auf der Seite der Informanten. Sie sprechen mit seinen Widersachern und den Kirchenjuristen über den angegrif- fenen Pfarrer, die angegriffene Pfarrerin, aber nicht mit ihm oder mit ihr selbst. Oder wenn doch, dann mit latenten Drohungen. Sie sind nur daran interessiert, auftretende Konflikte wie einen beginnenden Steppenbrand auszutreten. Was unter dem Fuß zermalmt wird, ist ihnen egal. Hauptsache, es herrscht wieder Ruhe in der Kirche. Oft geben sie ihr erprobtes Wissen über die Anwendung des so genannten Ungedeihlichkeitsparagraphen gern an die “Pfarrerhasser“ weiter, damit das Schicksal möglichst schnell seinen Lauf nimmt. Neutrale Mediatoren oder Konfliktmanager lehnen die Entscheider in der Kir- chenbürokratie ab. Denn bei der Kirche muss man sich doch nicht in seine Kommunikations- und Rechtsanwendungskarten gucken lassen. Nein, wenn es in einer Gemeinde zu Unruhe kommt, ist unter allen Umständen der Pfarrer/die Pfarrerin verantwortlich! Denn dieser Berufsstand muss der Erwartung entspre- chen, immer so zu agieren, dass es jedem, aber auch wirklich jedem Recht ist. Eigene Akzentuierungen in den Gemeinden, Gewissensentscheidungen sind kaum mehr möglich, es sei denn, man folgt damit gerade dem Mainstream. Die- ser Druck tritt noch verstärkter in den neuen Bundesländern auf. Ein einzelner Pfarrer muss hier mit drei oder sogar vier Kirchenvorständen zusammen arbei- ten. Was das eine Gremium für gut oder akzeptabel hält, kann in dem nächsten zur Stolperfalle werden. Wir nennen diese Anforderung, die jetzt nach und nach auch in den alten Bundesländern einzieht, einen kommunikativen Überforde- rung. Eine Konformität, die nicht einmal in einer kleinen Familie möglich und auch erstrebenswert ist, soll nach dem Willen der Kirchenleitungen auf dem un- terschiedlichen Terrain einer Kirchengemeinde, die zudem oft unscharfe Gren- zen zur Ortsgemeinde hat, lückenlos möglich sein. Seit Jahren schon versucht D.A.V.I.D. e.V. und versuchen andere Mitstreiter, die Gesetzmäßigkeit dieses Malstromes zu erkennen, der die Anwendung des Ungedeihlichkeitsparagraphen auslöst und letzten Endes meistens dazu führt, dass die Betroffenen kalt gestellt werden. Das heißt im Klartext: keine Chance mehr bekommen, eine neue berufliche Herausforderung innerhalb der zuständi- gen Landeskirche zu erhalten. Diese Entscheidungen der Kirchenbürokratie, die auf das Wohlmeinen der Kirchensteuerzahler aus ist, bedeuten für die Betroffe- nen und ihre Familien massive existenzielle Nöte: soziale Ausgrenzung, Diffa- mierung, Vernichtung von Lebenszielen, massiver Bruch der Lebenszuversicht ganzer Familien, Krankheit, posttraumatische Stresssymptome, materielle Ver- luste, Verbote der Kirche für berufsnahe Aktivitäten (Freikirchliche Tätigkeit, Taufen, Beerdigungen). Wohlgemerkt, das alles kann passieren, ohne dass dis- ziplinarrechtlich relevante Verfehlungen begangen wurden! Das wäre eine ganz andere Schiene. Jeder in solche Prozesse nicht Eingeweihte müsste normalerweise denken, dass es bei derartig schwerwiegenden Eingriffen in die Existenz eines ordinierten Pfarrers oder einer ordinierten Pfarrerin ohne schuldhaftes Verhalten doch nicht mit rechten Dingen zuging beziehungsweise zugeht! Meistens verlaufen die Gedanken der Außenstehenden aber in die gegenteilige Richtung: Irgend etwas Schlimmes muss doch vorgefallen sein, wenn die Kirche so etwas tut! Die Kir- che würde doch niemals ... wenn nicht... Tatsächlich geht es nicht mit rechten Dingen zu! Aber nicht auf Seiten der Pfarrer, sondern in den Kirchenverwaltun- gen. Sowie hier die Bereitschaft besteht, Menschen fallen zu lassen, und diese um ihre Existenz, ihren guten Ruf zu kämpfen beginnen, wird das Kirchenrecht aktiv außer Kraft gesetzt. Es wird degradiert vom Maßstab zur Konfliktlösung zum Mittel für den Vertreibungszweck. Eine solche Handhabung des Kirchen- rechtes produziert nicht nur Verlierer, sondern bedeutet eine tiefe Erschütterung eines – nennen wir es – kirchlichen Urvertrauens. Davon betroffen ist nicht nur der Einzelne selbst, sondern sein gesamtes soziales Umfeld. An diesem – man ist fast versucht zu sagen – Kriegsschauplatz, verliert die Kirche viele Anhän- ger, die nicht nur Kirchensteuer gezahlt, sondern sich auch tatkräftig für sie en- gagiert haben. Aber in ihrer unnahbaren und scheinbar unangreifbaren Überheb- lichkeit, will sie es nicht wahrhaben. Die Missachtung und die willkürliche Manipulation des Kirchenrechtes bilden die wesentlichen Elemente dieser Tragödie. Würden sich die zuständigen Lan- deskirchen gewissenhaft an ihrem eigenen Codex und seinem geistlichen Hin- tergrund orientieren, wäre der Verlauf vieler Verfahren ganz anders. Dies ist dreifach schmerzlich: Erstens: In der verfassten Kirche hängen Theologie und Recht eng zusammen, sie bedingen sich gegenseitig. Aus diesem Grund dürfen wir, müssen wir als Menschen auf dem Weg zum Christsein argumentieren, dass die gängige Ver- letzung von Kirchenrechten und Ordnungen in solchen Fragen eine Missach- tung unserer theologischen Grundüberzeugungen bedeutet. Und dies nicht nur hinsichtlich des Rechtes, sondern auch weil der Pfarrer/die Pfarrerin Teil, Glied der Gemeinden sind und als solche ebenfalls Anspruch auf Schutz und Zu- spruch der Gemeinden haben. Das ist ein gegenseitiger Prozess, in dem wir auf einander angewiesen sind. Zweitens: Beschädigt die Institution Kirche ihr eigenes Recht, ihre eigene ge- setzte Ordnung, wie Max Weber sagen würde, die sie als Privileg im Vertrauen auf ihre besondere Stellung, ihre besondere Aufgabe in der Gesellschaft erhal- ten hat, müsste es das höchste Anliegen der Institution Kirche selbst sein, das Vertrauen in das Kirchenrecht zu rechtfertigen oder wiederherzustellen. Drittens: Die Konsequenzen für die Betroffenen, die sich aus der Missachtung des Kirchenrechtes – Geist wie Buchstaben – ergeben, sind so weit reichend, dass man sie teilweise nur als die Verletzung von Persönlichkeits- und Grund- rechten beschreiben kann. Damit tangieren sie auch die bürgerlichen Rechte, die uns unsere Verfassung gewährleistet. Das staatliche Vertrauen in die Institution Kirche darf nicht dazu führen, dass die Grundrechte unserer demokratischen Verfassung unterlaufen werden. Der Begriff der Angst spielt heute in dem Berufsstand der Pfarrer eine große Rolle. Sie ist eine mächtige, zähe Kraft mit enormem Anpassungsdruck. Wenn alle zusammen stehen, müsste es möglich sein, zu einem Kolloquium unter Mit- wirkung des betroffenen Berufsstandes zu kommen, um die beschriebenen Ver- haltensweisen zu ächten und neue Wege der Konfliktklärung zwischen Pfarrern und Gemeinden, auch der Personalführung zu finden. Dazu gehört als erster Schritt genau hin zu sehen, was hier passiert. Ebenso besteht die absolute Not- wendigkeit, die Betroffenen zu rehabilitieren und sie materiell für Anwalts-, Berufs- und Rehabilitationskosten zu entschädigen! Erst dann kann eine neue Ära evangelischen Gemeindelebens beginnen, das auf Einheit gegründet ist. Ingrid Ullmann Dipl.-Pädagogin, geb. 1944, verheiratet 3 erwachsene Kinder, Abitur über Fern- studium im Alter von 39 Jahren, Studium der Soziologie, Psychologie und Pä- dagogik mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung an der Johannes-Gutenberg- Universität in Mainz, Praktikum und Tätigkeit u.a. bei der Evangelischen Er- wachsenenbildung in Wiesbaden, dort Herausgeberin der Broschüre: ” ...die Maßnahmen, die der Stadt gegen das Judentum trifft, können der Kirche nicht erspart bleiben..” Gespräche und Materialien, Evangelische Kirche und Natio- nalsozialismus im Raum Wiesbaden. Mitinitiatorin einer Mahntafel für die Opfer des Nationalsozialismus an der E- vangelischen Talkirche in Wiesbaden-Sonnenberg und Mitbegründerin der Dietrich-Bonhoeffer-Seminare, die früher in dieser Kirchengemeinde stattfan- den. Herausgeberin von “Gemeinde in Not” – die minutiöse Aufzeichnung eines Mobbingprozesses im Kirchlichen Raum 1998. Mitbegründerin des “Offenen Forums e.V. ” – einer selbst verantworteten evangelischen Initiative zur Förde- rung christlicher Verantwortung, Kursleiterin für Kreatives Schreiben in Beruf und Wissenschaften, derzeit beruflich “fulltime” im Familienbetrieb tätig.