Michael Heymel

Wohin treibt die EKHN?

Unerledigte Fragen nach sechs Jahren in der Kirchensynode

Der folgende Bericht bezieht sich auf die Zeit von Mai 1998 bis Februar 2004 und wurde zuerst in etwas kürzerer Form auf der Synode des Dekanats Bergstraße SÜD am 14. Februar 2004 in Gorxheimertal vorgetragen. Ich schildere darin meine Erfahrungen als gewähltes Mitglied der Neunten Kirchensynode, wohl wissend, dass diese Schilderung Widerspruch hervorrufen wird. Beabsichtigt war ein persönlicher Beitrag zur Auseinandersetzung über den Reformkurs unserer Landeskirche, der deutlich und damit auch angreifbar Position bezieht, keine Abhandlung sine ira et studio von vermeintlich höherer Warte. Ich beginne mit meinen ersten Eindrücken von der Kirchensynode und gehe dann auf einzelne Arbeitsthemen ein, mit denen ich mich intensiver beschäftigt habe. Abschließend versuche ich, ein Resümee zu ziehen.

I.

Wer zum ersten Mal als Delegierter in die Tagungsarbeit der Kirchensynode kommt, braucht eine Weile, um sich dort zu orientieren. Das ging mir genauso. Erst nach einem Jahr hatte ich mir hinreichende Übersicht über das „Who is who?" der einflussreichen Personen und Gruppen der Kirchensynode verschafft.

Angeblich gibt es keine Parteien und Fraktionen in unserem Landeskirchenparlament, aber in Wirklichkeit existieren eben doch vergleichbare Interessengruppen und Richtungsflügel. Hier „Offene Kirche", dort „Lebendige Kirche". Wofür die beiden stehen, erschließt sich nur der genaueren teilnehmenden Beobachtung. Die Namen, nimmt man sie für sich, sind nichtssagend. In der ersten Gruppierung sammelt sich deutlich die Mehrzahl der Synodalen, die sich für den Prozess der Strukturreform eingesetzt haben, in der zweiten Gruppierung findet sich eine reformkritische Minderheit zusammen. Beide sind volkskirchlich orientiert, haben aber, wenn ich recht sehe, unterschiedliche Vorstellungen davon, wie unsere Landeskirche in Zukunft Kirche bzw. Volkskirche sein kann.

Wer in der Kirchensynode für seine Ziele etwas erreichen will, muss ihre Verfahrensweise kennen und ihre Instrumente mit Geschick einsetzen. Das will erst einmal gelernt sein. Die begrenzte Redezeit und die zuweilen arg strapazierte Aufnahmefähigkeit der Synodalen nötigen zu Redebeiträgen, in denen man treffsicher zu einer Sache Stellung nimmt und seine Meinung äußert. Verkürzungen und Vergröberungen sind dabei vielfach unvermeidlich. Ich habe mich im Plenum grundsätzlich nur zu Fragen zu Wort gemeldet, für die ich mich zuvor sachkundig gemacht habe, mich ansonsten aber in der Aussprache zurückgehalten. Bei wichtigen Beschlüssen habe ich Rat gesucht bei denen, die mehr von der Sache verstehen als ich. Und ich habe das Mittel der Fragestunde genutzt, um bei brisanten Fragen zu erreichen, dass sie vor der Synode verhandelt und von einem Referenten der Kirchenverwaltung beantwortet werden mussten.

Gern denke ich an einige Morgenandachten im Rahmen der Kirchensynode, die ich als inspirierende und wohltuende Einstimmung in den Tag erlebt habe, und an persönliche Begegnungen und Gespräche, die sich in den Tagungspausen ergaben. Diese Pausengespräche sind für die Meinungsbildung viel wichtiger als es vielleicht den Anschein hat. Nimmt man die Kirchensynode als ein Forum, auf dem die lebendige Vielfalt der Strömungen und Meinungen innerhalb der EKHN sich darstellt, so kann ich sagen: Ich habe auf diesem Forum über unsere Landeskirche viel erfahren und viel dazugelernt.

Nun zu einigen Arbeitsthemen und Problemen, mit denen ich mich als Kirchensynodaler befasst habe.

II.

Die Kirchensynode hat sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich mit Fragen der Strukturreform beschäftigt. Dabei fiel mir auf, dass ein inhaltlich gefüllter und differenzierter Begriff von Gemeinde fehlt. So kommt es immer wieder zum unfruchtbaren Schlagabtausch zwischen Vertretern und Fürsprechern der funktionalen (übergemeindlichen) Dienste einerseits und den Vertretern der gemeindlichen Dienste andererseits (wobei ‚Gemeinde' stets nur im parochialen Sinn als örtliche Kirchengemeinde verstanden wird). Nach reformatorischer Erkenntnis bildet sich eine christliche Gemeinde durch das Hören auf die Stimme ihres Hirten und wird zuallererst durch ihren Gottesdienst kenntlich (siehe CA VII und Barmen III). Die Reformdebatten in der EKHN dagegen laufen weithin so, als ob mit unseren Gottesdiensten alles in Ordnung wäre und Kirche sich ohne jede Erneuerung auf diesem Gebiet reformieren ließe. Es gibt inzwischen kirchliche Dienste, die kaum mehr eine Anbindung an den Gottesdienst haben. Doch nirgendwo wird dieser Zustand als reformbedürftig empfunden.

Die Strukturreform setzt auf Kirche in der Region. Sie beruht auf einem funktionalen Kirchenverständnis, das Kirche jeweils von ihren Funktionen für die gesellschaftliche Umwelt her fasst. Dieses Kirchenverständnis, 1992 formuliert in ‚Person und Institution' in einer gemeindefernen Theoriesprache mit soziologischen Anleihen und dem Hang zu vieldeutig dehnbaren abstrakten Plastikwörtern, ist die normative Vorgabe, sozusagen die ‚Bibel' des Reformprozesses geworden. Kein Wunder, dass jeder das herauslas, was ihm passte! Eine Diskussion über Für und Wider dieses Ansatzes hat zwar in den 90er Jahren vorübergehend stattgefunden. Doch leider ist aus ihr nur wenig in die Kirchensynode durchgedrungen.1

Ich selbst habe mich dem Richtungsflügel „Lebendige Kirche" angeschlossen, der sich für die Stärkung der Selbständigkeit der Kirchengemeinden gemäß den Grundsätzen der Bekennenden Kirche einsetzt, wie sie auch die Entstehung unserer Kirchenordnung geprägt haben. Es ist dies die einzige Gruppierung der Kirchensynode, wo auch evangelikale Positionen zu Wort kommen und ernstgenommen werden. Allerdings wird man der „Lebendigen Kirche" nicht gerecht, wenn man sie pauschal als pietistisch oder evangelikal einstuft. Tatsächlich bietet sie ein Forum, um über diejenigen Fragen zu sprechen, die in den Debatten über Strukturreform notorisch übergangen werden: Fragen der Glaubensorientierung, der christlichen Spiritualität und des Gemeindeaufbaus.

Ende 1998 kam ich in den Ausschuss Bildung und Erziehung. Für kirchliche Bildungsarbeit mich einzusetzen schien durchaus sinnvoll. Nur erwies sich der Ausschuss über weite Strecken als institutionalisierte Belanglosigkeit. Längere Zeit war völlig unklar, mit welchen Aufgaben wir uns zu beschäftigen hatten. Die Ausschussmitglieder haben im wesentlichen Vorlagen der Kirchenverwaltung zu bearbeiten, und es gibt wenig Spielraum, um eigene Ideen und Anregungen einzubringen. Projekte, für die ich mich aus Überzeugung eingesetzt habe, waren die evangelischen Schulen. Teilweise hatten wir damit auch Erfolg. Dass die evangelische Stadtschule in Frankfurt gescheitert ist, liegt m.E. weniger an den Finanzen als vielmehr daran, dass dieses Vorhaben von allzu vielen Personen und Gremien, die auch mitreden wollten, im Streit der Interessen im Rhein-Main-Gebiet solange hinausgezögert und zerredet wurde, bis nichts mehr zu machen war. Die Konzeption und die beabsichtigte Einbindung der Schule ins Frankfurter Diakonissenhaus halte ich nach wie vor für wegweisend.

Die Öffentlichkeitsarbeit hat in der EKHN einen hohen Rang erhalten. Das ergibt sich meiner Ansicht nach folgerichtig aus einem Kirchenverständnis, das die Präsenz der Kirche in der Gesellschaft weiträumig wahren will und die Großstadt als Maßstab für kirchliche Entwicklung nimmt. In unseren Verhältnissen erfordert dies, kirchliche Arbeit auch in Massenmedien darzustellen, um ihr die gebührende öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn gerade auf diesem Weg öffentlicher Medienkommunikation, so nimmt man an, könnte die Mehrheit unserer kirchendistanzierten Zeitgenossen noch am besten erreicht werden.

Kontrovers zu diskutieren wäre nun freilich, was für ein Bild von Kirche den Leuten durch unsere EKHN-Medien vermittelt wird. Ich finde Öffentlichkeitsarbeit zu wichtig, um sie allein unseren Chefpublizisten und Journalisten im Medienhaus zu überlassen. Um nicht missverstanden zu werden: Unser Problem in diesem Bereich ist nicht die professionelle Qualität, sondern es sind die internen Grundsätze und Leitlinien, an denen sich unsere kirchlichen Medien orientieren. Das Magazin ECHT und der Jahresbericht der EKHN, der sich erkennbar an die Zielgruppe der Besserverdienenden wendet, zeigen zwei Tendenzen unserer Öffentlichkeitsarbeit, die ich nicht gutheißen kann: buntes Design für wenig substanziellen Inhalt und eine Werbung um potente Kirchensteuerzahler, die unsere Landeskirche so darstellt, als wäre sie ein Unternehmen. Wir könnten, finde ich, unser Geld für bessere Dinge investieren, etwa für die Förderung und Profilierung unserer Evangelischen Kirchenzeitung und für gute Öffentlichkeitsarbeit vor Ort und auf Dekanatsebene.

Nun können Sie mir entgegenhalten: Sollen wir uns denn nicht um Kontakt zu unseren kirchendistanzierten Mitgliedern bemühen? Sollen wir nicht auch auf die Besserverdienenden zugehen, um ihnen zu verdeutlichen, dass sie gut beraten sind, die kirchliche Arbeit zu unterstützen? Ja, ich meine, wir sollten das tun. Nur sollten wir überlegen, wie wir den öffentlichen Auftrag der Kirche, allen Menschen Jesus Christus zu bezeugen, am besten wahrnehmen. Haben wir wirklich schon alle Möglichkeiten der Begegnung und des persönlichen Gesprächs ausgeschöpft, um Kirchendistanzierte und Besserverdienende anzusprechen und ihnen aus erster Hand positive Erfahrungen mit Kirche zu vermitteln? Vielleicht ist hier lokal und regional mehr möglich als wir denken. Und sicher gibt es unterschiedliche Modelle für eine gute Mitgliederzeitschrift, die es verdienen, geprüft zu werden.

Im Nachhinein betrachtet, erweisen sich eine Reihe kirchensynodaler Entscheidungen nach meiner Einschätzung rundweg als falsch oder zumindest als korrekturbedürftig. Die neue Pfarrstellenbemessung fördert den Abbau kleiner Kirchengemeinden. Das kann nicht richtig sein. Die demographischen Daten sprechen zwar dafür, dass Evangelische in der Gesellschaft zu einer Minderheit werden und man für diese, rein rechnerisch gesehen, weniger Pfarrer/innen braucht. Wenn aber Kirche vorrangig unter dem Eindruck solcher Daten handelt, verwaltet sie nur noch ihren Niedergang. Der Beschluss, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare im Gottesdienst zu ermöglichen, ist weder biblisch-theologisch, noch ethisch und kirchenpolitisch zu rechtfertigen. Er hat unsere Kirche bei vielen in Misskredit gebracht. Die Gehaltserhöhung für kirchliche Leitungskräfte zum jetzigen Zeitpunkt war unnötig und ärgerlich.

Die sogenannte „Spar"debatte, die wir gerade führen, ist zweifellos nötig. Aber wenn wir uns nicht sehr bald über die Prioritäten kirchlicher Arbeit verständigen, sehe ich die nächsten Desaster unserer Reformpolitik schon voraus. Redlicherweise muss man von Mittelkürzungen und Einschränkungen sprechen, auch von Umverteilung finanzieller Mittel. Sparen ist das falsche Wort, denn wir legen ja kein Geld zurück, sondern müssen insgesamt mit weniger auskommen.

Wo kann sinnvoll gekürzt werden? Das lässt sich nur begründen, wenn man ein solides Konzept hat, welche kirchlichen Einrichtungen und Dienste wir künftig dringender denn je brauchen und welche nicht.3 Solange für ein Magazin wie ECHT pro Jahr 20 mal so viel ausgegeben wird wie für das Haus der Stille, dessen Tagungsangebote der geistlichen Einkehr und Besinnung dienen, stimmen unsere Prioritäten nicht. Im Februar dieses Jahres hat die Kirchensynode beschlossen, das Mitgliedermagazin weiterzuführen. Das Abstimmungsergebnis zeigt jedoch, dass die Synode über Sinn und Notwendigkeit von ECHT tief gespalten ist.5 Solange die immer wieder geforderte Grundsatzdiskussion zu diesem ideologisch hochbesetzten Thema nicht geführt wird, werden wir zu keiner klaren Entscheidung kommen. Wir haben auch ohne das umstrittene Magazin noch genügend kirchliche Printmedien. Das einzige Haus der Landeskirche aber, das geistliches Leben im Rahmen von Tagzeitgebeten fördert, wird ohne Not in seinem Bestand gefährdet, weil diese Kirche sich den Aufwand für Stundengebete angeblich nicht leisten kann. Arme Kirche, armselige Theologie!

Ich habe mich für undankbare Themen eingesetzt, die in unserer Landeskirche keine lautstarke und einflussreiche Lobby haben: Gottesdienst, Kirchenmusik, Spiritualität, Mission und Evangelisation. Diese Themen wurden und werden in der Synode, aufs Ganze gesehen, eher stiefmütterlich behandelt. Kommen sie doch einmal zur Erörterung, dann pflichtschuldig und ohne Neigung, praktische Konsequenzen zu ziehen. In diesen Bereichen lassen sich in der EKHN kaum neue Impulse vermitteln. Wo sind die Widerstände, die das erschweren? Am Arbeitszentrum für Gottesdienst und Verkündigung in Frankfurt kann es nicht liegen, denn hier ist man an Fragen der gottesdienstlichen und kirchenmusikalischen Praxis interessiert und bietet den auf diesem Feld Tätigen Unterstützung an. Und das zuständige Fachreferat in Darmstadt? Welche Anstöße werden von dort gegeben, um allen Pfarrer/innen und Kirchenmusiker/innen den Gottesdienst wichtig zu machen? Beispiele zeigen, dass Kirche für viele Menschen durch die Beteiligung an lebendigen und inspirierenden Gottesdiensten nachhaltig erfahrbar wird.

Die Informationen, die ich durch die Kirchensynode erhielt, habe ich auch dazu benutzt, um mit publizistischen Mitteln in verschiedenen Medien für die genannten Themen in der Öffentlichkeit einzutreten. So habe ich z.B. versucht, eine Diskussion über die Ziele der Kirchenmusik in Gang zu bringen, und dabei die Frage gestellt, was wir zur Verbesserung der Situation nebenamtlicher Kirchenmusiker/innen tun können. Doch bewegt hat sich da kaum etwas. Die Vergütung für diese Dienste ist so miserabel, dass keinerlei Anreiz besteht, Eignungsnachweise für Organistendienst und Chorleitung zu erwerben. Aber nichts geschieht, um hier etwa antiquierte und weltferne Vergütungsrichtlinien zu modernisieren. Haben wir dafür nicht genügend Geld? Gerät dann das Vergütungsgefüge für die Hauptamtlichen ins Wanken? Wieder ist nach den Prioritäten zu fragen: Wie wichtig ist uns die Kirchenmusik? Erkennbar wird das an dem, was wir längerfristig in sie investieren.

Oder nehmen wir das Thema Mission und Evangelisation. Durch Berichte von der EKD-Synode 1999 in Leipzig kam dieses Thema auch in unsere Kirchensynode. Ich habe damals beantragt, es als Schwerpunktthema in einer Synodentagung bei uns zu behandeln und eine Bilanz vorzulegen, welche missionarischen Gruppen und Aktivitäten wir in der EKHN haben. Vier Jahre später hat unsere Kirchensynode sich dann einen halben Tag Zeit genommen, um sich ein gutes Referat zum Thema anzuhören und sich darüber in kleineren Kreisen auszutauschen. Damit war dieser Punkt aber auch schon abgehandelt. Die in Auftrag gegebene Bilanz liegt bis heute nicht vor. Das selbstzufriedene Synodenwort zur Aufgabe der Mission, das – gegen alle begründete Kritik – eilig verabschiedet wurde, gibt keinerlei Anstoß, die Aufgabe von Mission und Evangelisation anzupacken. Was muss noch passieren, bis die EKHN sich der Herausforderung stellt, eine nach innen missionarische Kirche zu werden?

III.

Ich versuche, ein Resümee zu ziehen. Um es ganz offen zu sagen: Nach den Erfahrungen der vergangenen sechs Jahre sehe ich nicht, wofür ich in der Kirchensynode mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg weiter kämpfen sollte.

Unsere EKHN ist, mehr als andere Landeskirchen der EKD, eine Gremienkirche. Viele wollen gefragt werden, mitreden und mitentscheiden. Aber wer das Sagen hat, bleibt oft unklar.8 Kirchenleitung und Verwaltung haben gegenüber der Kirchensynode immer einen beträchtlichen Informationsvorsprung, der kaum einzuholen ist. Das mag von den Mitgliedern der einzelnen Ausschüsse unterschiedlich erlebt werden, da man dort natürlich über den Sachstand und die aktuellen Probleme im eigenen Arbeitsbereich besser informiert ist als die übrigen Synodalen. Grundsätzlich ändert das jedoch nichts an dem Gefälle, das zwischen Leitung und Verwaltung auf der einen und der Synode auf der anderen Seite besteht. Den Möglichkeiten, über den Weg der Landeskirche mitzubestimmen, sind dadurch enge Grenzen gesetzt. Viele Vorgaben muss man auf Treu und Glauben übernehmen, ohne sie prüfen zu können. Dazu nötigt den einzelnen Synodalen schon allein die Menge der Materialien, die jeweils vor einer Synodentagung zu lesen und zu verarbeiten sind.

Mit dem Kurs der Strukturreform, die wir durchgeführt haben, bin ich nicht einverstanden. Diese Reform bevorzugt ein städtisches Kirchenmodell. Sie geht zu Lasten der kleinen Kirchengemeinden, und sie wird uns in absehbarer Zeit eine Menge unerwünschter Nebenwirkungen und Kosten bescheren. Weitere Kirchenreformen werden uns nicht erspart bleiben. Wir werden Abschied nehmen müssen vom System einer flächendeckenden Volkskirche, die als multifunktioneller sozialer Dienstleister auftritt, und wir werden uns wohl auch verabschieden müssen von Regelungen des Dienstrechts und der Besoldung der Pfarrer/innen nach Grundsätzen des Beamtenrechts. Beides wird sich auf Dauer nicht halten lassen.

Aus der Sicht der Kirchengemeinden wird bei jeder künftigen Reform zweierlei zu überprüfen sein: 1. Haben wir genügend Personen, die das Gesicht der Kirche vor Ort und in der Region so prägen können, dass davon etwas Gutes, Lebensförderndes und Befreiendes ausstrahlt? 2. Wenn ja, welche Strukturen brauchen wir, um in unseren Verhältnissen lebendige Gemeinden zu bauen, die für die Menschen ein geistliches Zuhause sein können?

Es bleibt nur zu hoffen, dass nach den jahrelangen Strukturdebatten in der EKHN bei vielen das Verlangen gewachsen ist, sich endlich wieder inhaltlichen Fragen der Glaubensorientierung und damit den geistlichen Grundlagen zuzuwenden, auf denen Kirche und Gemeinde erbaut werden. Die Zehnte Kirchensynode wäre gut beraten, wenn sie zusätzlich zu den bisherigen Ausschüssen einen Ausschuss „Gemeindeentwicklung und Gemeindeaufbau" bildete. Dann bestünde ein institutionalisierter Rahmen, in dem das Interesse am Zusammenhang zwischen Gottesdienst und Gemeinde wahrgenommen würde.

Sehr wahrscheinlich wird sich die neue Kirchensynode mit Plänen, die Kirchenordnung zu ändern, befassen. Hier ist größte Vorsicht geboten. Nach der Ordnung der EKHN ist die „an einem Ort versammelte Gemeinde ... die primäre Gestalt der Kirche Jesu Christi." Neben dieser „Normalform" werden auch andere soziale Formen, die sich bei Gelegenheit und auf Zeit bilden, als Gemeinde anerkannt. „Alle weiteren Organisationsformen wie das Dekanat, die Landeskirche und kirchliche Werke und Zweckverbände sind sekundäre Gestalten von Kirche ..." Diese völlig korrekte Auslegung kann man in unserem offiziellen ‚Handbuch Kirchenvorstand' nachlesen. Wenn jetzt versucht wird, das Dekanat zur theologischen Größe aufzuwerten und ihm gleichen Rang wie der Gemeinde zu verleihen, soll die Kirchenordnung nachträglich mit der vollzogenen Reform der Mittleren Ebene in Übereinstimmung gebracht und diese dadurch als mit der kirchlichen Ordnung konform legitimiert werden.

Unsere dringendste Aufgabe heute ist, uns zu vergewissern, wozu wir überhaupt als Kirche da sind, wofür wir stehen, wenn wir eine menschenfreundliche Kirche sein wollen. In der Kirchensynode habe ich des öfteren gehört, wir wollten doch als Kirche „nahe bei den Menschen" sein. Politische Parteien, Gewerbetreibende und Medien wie die Bildzeitung wollen das auch. Ich möchte Klarheit haben und Klarheit verbreiten, was diese Kirche im Unterschied zu allen anderen Organisationen der Gesellschaft den Menschen zu geben hat. Dafür will ich gern weiter arbeiten. Aber ich möchte in Zukunft andere Schwerpunkte setzen. Ich bin gern bereit, solche Aufgaben zu übernehmen, bei denen ich als Pfarrer und praktischer Theologe gefordert bin. Das Mandat als Kirchensynodaler möchte ich zum Ablauf der Amtsperiode abgeben.

PD Pfarrer Dr. Michael Heymel

Bahnstraße 2, 69483 Wald-Michelbach

(Der Text im Word-Format ist mit Fußnoten versehen! Die Redaktion)